
In der modernen Kleintiermedizin spielen Hospiz- und Palliativversorgung eine immer größere Rolle.
„Für mich ist die Tiermedizin nicht erledigt, wenn ich eine Diagnose habe, dass es unheilbar ist, sondern da geht es für mich dann erst los.“ Diese Aussage spiegelt eine weit verbreitete Einstellung unter Tierärzt*innen wider, die im Rahmen einer neuen Studie des Messerli Forschungsinstituts (MFI) der Veterinärmedizinischen Universität Wien befragt wurden.
Svenja Springer, Erstautorin der Studie untersuchte gemeinsam mit ihren Kolleg*innen die aktuellen Entwicklungen rund um die Hospiz- und Palliativversorgung in der modernen Kleintiermedizin. Im Rahmen qualitativer Interviews mit Tierärzt*innen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz, die sich auf die palliative Betreuung von Tieren am Lebensende spezialisiert bzw. diese explizit anbieten, wurden sowohl deren Motivation als auch die zentralen Herausforderungen identifiziert.
Ausgangspunkt der Studie
Hunde und Katzen sind für viele Menschen mittlerweile enge Wegbegleiter und tierische Familienmitglieder. Umso verständlicher also, dass zurzeit die Nachfrage nach einer Hospiz- und Palliativversorgung der tierischen Gefährten wächst, auch wenn bislang schnell die Euthanasie als einzige Option bei unheilbaren Krankheiten in den Vordergrund rückte.
Wozu Palliativmedizin?
Die Palliativmedizin zielt darauf ab, Schmerzen und andere klinische Symptome zu lindern, um eine bestmögliche Lebensqualität zu erreichen – und zwar auch dann, wenn eine Heilung nicht mehr möglich ist.
Persönliche Erfahrungen als Antrieb
Die Studie zeigt, dass persönliche Erfahrungen mit eigenen Haustieren oder während der Ausbildung beziehungsweise im Berufsleben wesentlicher Antrieb für eine Spezialisierung in der Palliativmedizin sind. So sagte auch eine der befragten Tierärzt*innen: „Wir haben alle gelernt − auch ich – keine Geschichten daraus machen, loslassen, vernünftig entscheiden. Und dann habe ich festgestellt, wie sehr ich gelitten habe unter der Euthanasie meiner eigenen Tiere.“
Eine weitere Tierärztin gab an, sie könne immer mehr beobachten, dass Tierbesitzer*innen ihre Tiere gerne nach der Diagnose „unheilbar“ begleiten wollen. Das moralische Leitprinzip dieses „Begleitens“ kreist dabei vorwiegend um die Lebensqualität des individuellen Patiententieres: Solange diese ausreichend gegeben ist, sehen viele der Befragten eine Euthanasie nicht als notwendig an. Für die spezialisierten Tierärzt*innen ändert sich damit ein Stück weit ihr Selbstverständnis, so auch das der Autor*innen der Studie: „Die zentrale Frage lautet in diesen Situationen nicht mehr ‚Wie können wir das Tier heilen?‘ sondern ‚Wie können wir das Tier bestmöglich begleiten und für dieses sorgen?"
Hierbei rücken notwendigerweise auch die Tierhalter*innen in den Blick, wie Svenja Springer näher ausführt: „Eine vertrauensvolle, empathische, aber zugleich professionelle Beziehung zwischen Tierärzt*innen und Tierhalter*innen ist das A und O. Vor allem erfordert eine gute Palliativversorgung aber eines: Zeit. Fast alle Befragten kommen immer wieder auf diesen Faktor zu sprechen und betonen, dass sie sich ausreichend Zeit für das Tier, aber auch für die Tierhalter*innen nehmen.“ In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder Kritik am zunehmenden Zeitdruck im üblichen Praxisalltag in der tiermedizinischen Versorgung laut.
Ab wann ist ein Leben nicht mehr „lebenswert“?
Die Hospiz- und Palliativversorgung von Kleintieren stellt dabei „klassische“ Abwägungsfragen mit neuer Vehemenz: Ab wann ist die Lebensqualität nicht mehr ausreichend vorhanden, so dass schließlich aus Gründen der Leidvermeidung doch zu euthanasieren ist? Anders formuliert: Ab wann ist ein Leben nicht mehr „lebenswert“? Und wie kann hier innerhalb der „Trias der Veterinärmedizin“ zwischen Patiententier, Tierhalter*innen und Tierärzt*innen empathisch und doch fachlich-basiert eine Entscheidung getroffen werden, die im mutmaßlichen besten Interesse des Tiers ist?
Daten dieser Studie zeigen, dass insbesondere die Palliativversorgung von Kleintieren sich diesen ethischen Fragen annimmt, bei der nicht das Heilen, sondern das Begleiten von Patiententieren und deren Halter*innen im Fokus stehen.
Quelle (nach Angaben von):
Vetmeduni: Begleiten bis zum Lebensende – Hospiz- und Palliativversorgung in der Kleintiermedizin. 10.09.2024
(JD)