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ForschungDie „ekstatische Vorführung” von Pinguinen

Haben Pinguine ihr Partnertier lange nicht gesehen, schauen sie in den Himmel, strecken sich und schlagen mit ihren Flügeln. Eine Verhalten, das Forschende nun genauer untersucht haben.

Zügelpinguine in der Antarktis
Gabrielle/stock.adobe.com

Die „ekstatische Vorführung“ zeigen Pinguine, wenn sie lange auf ihr Partnertier warten müssen.

Bisher wurden die antarktischen Pinguine in Ekstase kaum verstanden. Warum schauen sie so oft mit gestrecktem Körper in den Himmel, schlagen dabei mit den Flügeln und stoßen laute Rufe aus? Einer Frage, zu der Forscher*innen aus Deutschland und England nun eine Antwort gefunden haben.

Mithilfe von Eventkameras hat die Forschungsgruppe die Tiere lange beobachtet. Dabei nehmen die speziellen Kameras nicht ganze Bilder auf, sondern registrieren für jedes Pixel getrennt nur die Veränderungen in der Helligkeit (die „Events“). So kamen die Forschenden schließlich zu ihrer Hypothese: Die „ekstatische Vorführung“, in der Fachsprache „ecstatic display“ genannt, ist eine Art Revierverhalten, das besonders dann auftritt, wenn ein Pinguin lange auf seinen Partner oder seine Partnerin warten muss.

Frühere Studien widerlegt

Juarez Martínez, Biologe an der University of Oxford, erforschte in seiner Doktorarbeit das Verhalten der Zügelpinguine. Unter anderem wollte er mehr über das merkwürdige Phänomen des ecstatic display erfahren. „Eine der wenigen Studien dazu beschäftigte sich mit Adeliepinguinen, einer mit den Zügelpinguinen verwandten Art. Dort schien es, dass nur Männchen das ecstatic display zeigen, und das vor allem im antarktischen Frühling im Oktober. Die Forschenden gingen deshalb davon aus, dass es sich um ein Paarungsritual handeln könnte. Wir konnten nun zeigen, dass dies nicht stimmen kann.“

Eventfotografie arbeitet ohne Belichtungszeit

Damit Martínez das Verhalten der Zügelpinguine besser verfolgen konnte, nutzte er die Technik von Eventkameras. Dabei ist die Eventfotografie vom menschlichen Sehen inspiriert: Ähnlich wie bei den Vorgängen in der Netzhaut trägt jedes lichtempfindliche Pixel der Kamera zeitlich unabhängig zum Gesamtbild bei – es gibt also keine Belichtungszeit, nach der alle Pixel auf einmal ausgelesen werden. Da die Pixel nur ein Signal senden, wenn sich die Stärke des Lichteinfalls ändert, verbrauchen Eventkameras weniger Energie. Und weil es keine Belichtungszeit gibt, für die sich die Kamera entscheiden muss, können helle wie dunkle Bereiche annähernd gleich gut dargestellt werden. Eventkameras eigenen sich also sehr gut für schlechte Lichtverhältnisse. Zudem ist die Reaktionszeit einer Eventkamera durch den Wegfall der Belichtungszeit kleiner, was es einfacher macht, schnelle Bewegungen – wie etwa das Schlagen der Pinguinflügel – zu analysieren.

Wochenlange Beobachtung

16 Nester wurden zur Brutzeit mehrere Wochen lang gefilmt. Anschließend haben die Forscher*innen 24 je zehnminütige Videosequenzen untersucht und die Stellen markiert, an denen ein Pinguin das „ecstatic display“ zeigte. „Dies kommt erstaunlich oft vor, rund 20-mal pro Stunde“, so Friehelm Hamann, Doktorand des Exzellenzcluster SCIoI der TU Berlin und Experte für Eventkameras. Mit diesen markierten Videosequenzen wurden Algorithmen trainiert, die danach aus den gesamten Aufnahmen diejenigen mit ecstatic display herausfiltern konnten. „Diese Algorithmen wurden ursprünglich für Spielkonsolen entwickelt, bei denen die Bewegungen der Spieler*innen detektiert werden müssen“, erklärt Hamann.

Ekstatische Wellen durch die gesamte Pinguinkolonie

Zusätzlich zu diesen Computeranalysen wurde den beobachteten Pinguinen Blut abgenommen, um ihr Geschlecht zu bestimmten – sie haben nämlich keine äußerlich erkennbaren Geschlechtsorgane. „Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass beide Geschlechter gleich häufig das ecstatic display zeigen. Da wir zudem die Pinguine außerhalb der Paarungszeit beobachtet haben, kann es sich nicht um ein Paarungsritual handeln“, berichtet Ignacio Juarez Martínez. Stattdessen stellten die Wissenschaftler*innen zum einen fest, dass das ecstatic display quasi ansteckend ist; direkte Nachbarn werden von diesem Verhalten dazu angeregt, es ebenfalls zu zeigen. „Auf diese Weise kann tatsächlich so etwas wie eine ekstatische Welle durch die gesamte Pinguin-Kolonie laufen“, so Juarez Martínez.

Möglicherweise ein Revierverhalten

Was allerdings noch viel interessanter ist: Jeder Pinguin zeigt umso öfter das ecstatic display, je länger er bereits auf sein Partnertier wartet. „Pinguine teilen sich das Brüten und auch die Versorgung der Küken. Immer abwechselnd sitzen sie auf dem Nest, während der andere im Meer nach Krill jagt. Die Jungtiere werden mit hervorgewürgtem Mageninhalt gefüttert“, erklärt Juarez Martínez. In dieser Fütterungszeit steigt die Anzahl der ecstatic displays exponentiell mit der bereits verstrichenen Zeit seit der Wachablösung. „Besonders nach der 6. Stunde, zu der der Partner eigentlich wieder zurück sein sollte, nimmt die Häufigkeit extrem zu.“ Der dahinterstehende Zweck ist für die Forscher*innen immer noch unklar. Sie halten es für möglich, dass es sich um eine Art Revierverhalten handelt und wollen mit dieser Arbeitshypothese nun weitere Untersuchungen anstellen.

Vielfältige Anwendungen der Eventfotografie

„Der hohe Informationsgehalt des Datensatzes der Eventkamera hat dazu beigetragen, dass wir das ecstatic display so genau untersuchen konnten“, sagt Juarez Martínez. Die Wissenschaftler*innen am Exzellenzcluster SCIoI der TU Berlin haben inzwischen weitere Projekte mit Tierforscher*innen vereinbart. So werden sie mit der Eventkamera zum Beispiel das Verhalten von Vögeln analysieren. „Besonders vorteilhaft ist hier die schnelle Reaktionszeit der Kamera, die extreme Zeitlupenaufnahmen ermöglicht“, sagt Friedhelm Hamann. Er freut sich über diese neue Anwendungen. „Eventkameras können Robotern das Sehen erleichtern, autonom fahrende Autos sicherer machen, Industrieprozesse analysieren. Große Chiphersteller arbeiten sogar daran, sie in die Kameras von Smartphones einzubauen. Dass wir jetzt auch der Verhaltensforschung helfen können, zeigt, wie vielseitig diese neue Technologie und wie interdisziplinär die Forschung ist."

Quelle (nach Angaben von):

Pinguine in Ekstase (tu.berlin). 01.08.2024

(JD)