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Woher ein Geräusch kommt, können Menschen unter Wasser nicht ausmachen. Schall ist dort rund fünfmal schneller als an Land. Das macht ein Richtungshören nahezu unmöglich, denn das menschliche Gehirn berechnet die Herkunft von Klängen aus dem Zeitunterschied, mit dem sie beide Ohren erreichen. Fische hingegen können Schallquellen wie Beute oder Feinde orten, belegen Verhaltensstudien. Neurowissenschaftler*innen der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben das Rätsel gelöst und beschreiben den Hörmechanismus eines winzigen Fisches im Fachmagazin Nature.
Danionella cerebrum – ein Fisch für die Hirnforschung
Er trägt den klangvollen Namen Danionella cerebrum – ein etwa 12 Millimeter kleiner Fisch, Zeit seines Lebens fast vollkommen transparent, beheimatet in Flussläufen des südlichen Myanmar. Zwar hat Danionella das kleinste bekannte Wirbeltiergehirn, dennoch zeigt der Fisch eine Vielzahl komplexer Verhaltensweisen, einschließlich der Kommunikation durch Laute. Diese Tatsache und sein direkt einsehbares Gehirn – das Schädeldach fehlt, Kopf und Körper sind nahezu durchsichtig – machen ihn für die Hirnforschung interessant.
Der Neurobiologe Prof. Benjamin Judkewitz, Wissenschaftler des Exzellenzclusters NeuroCure an der Charité, nutzt mit seinem Team die Eigenschaften des Winzlings, um grundlegende Fragen zu klären, beispielsweise wie Nervenzellen miteinander kommunizieren. Die jüngste Arbeit widmet sich dem Hörsinn und der jahrzehntelang ungeklärten Frage, auf welche Weise Fische unter Wasser eine Schallquelle lokalisieren können. Bisherige Lehrbuchmodelle für das Richtungshören versagen, wenn sie auf Unterwasserumgebungen angewendet werden.
Die Akkustik unter Wasser
Wirbeltiere an Land, so auch der Mensch, nehmen die Richtung von Schall vor allem wahr, indem sie die Lautstärke und die Ankunftszeit von Schalldruck an beiden Ohren vergleichen. Ein Geräusch ist lauter und früher an dem Ohr, das der Quelle näher ist. Unter Wasser funktioniert diese Strategie nicht. Schall breitet sich deutlich schneller aus und er wird nicht durch den Schädel abgeschirmt. Demnach dürfte auch Fischen ein Richtungshören nicht möglich sein, denn Lautstärke- und Ankunftszeitunterschiede zwischen den Ohren gibt es nahezu nicht. Dennoch ist räumliches Hören in Vershaltensstudien bei unterschiedlichen Arten beobachtet worden.
„Um herauszufinden, ob und vor allem wie ein Fisch die Richtung von Schall erkennt, haben wir spezielle Unterwasserlautsprecher gebaut und in einem Studiensetting kurze, laute Töne abgespielt“, erklärt Johannes Veith, einer der beiden Erstautoren der aktuellen Arbeit. „Anschließend haben wir ausgewertet, wie häufig Danionella den Lautsprecher meidet, also die Richtung, aus der der Schall kommt, erkennt.“ Für die Analysen wurde jeder Fisch im Aquarium mit einer Kamera von oben aufgenommen und dessen exakte Position markiert und nachverfolgt. Dieses Live-Tracking führte zu einem entscheidenden Vorteil: Während die Erforschung des Unterwasserhörens bislang durch Echos in Aquarien erschwert wurde, konnte das Team nun gezielt Echos unterdrücken.
Hörmechanismus von Fischen
Menschen nehmen über das Trommelfell nur Schalldruck wahr, nicht aber Schallschnelle. Ganz anders der Hörmechanismus bei Fischen: Sie können auch die Schallschnelle wahrnehmen. Wie genau das bei Danionella funktioniert, haben Aufnahmen mit einem eigens für diesen Zweck gebauten Laser-Scanning-Mikroskop, das die Strukturen des Fischohrs während einer Tonwiedergabe stroboskopartig abtastet, gezeigt.
In der Nähe eines Unterwasserlautsprechers bewegen sich Wasserteilchen auf einer Achse auf den Lautsprecher zu und von ihm weg. Die Schallschnelle bewegt sich entlang der Ausbreitungsrichtung des Schalls. Ein Fisch in der Nähe des Lautsprechers bewegt sich ebenfalls mit dem Wasser, doch Ohrsteine – kleine kristalline Strukturen im Innenohr – bewegen sich aufgrund der Trägheit nur langsamer mit. Eine geringfügige Bewegung entsteht, die von Sinneszellen im Ohr detektiert wird. Das Problem: Damit kann der Fisch lediglich die Achse bestimmen, entlang derer sich der Schall bewegt – nicht aber die Richtung, aus der er kommt. Denn Schall ist eine Oszillation, eine ständige Vor- und Zurückbewegung.
Dieses Problem lässt sich lösen, indem Schallschnelle in Abhängigkeit vom momentanen Schalldruck ausgewertet wird – eine von vielen Hypothesen, die den Mechanismus des Richtungshörens in der Vergangenheit zu erklären suchten. Und die einzige Theorie, die zu den Forschungsergebnissen passte: „Schalldruck setzt die komprimierbare Schwimmblase in Bewegung, was wiederum von Haarzellen im Innenohr erkannt wird. Über diesen zweiten indirekten Hörweg liefert Schalldruck dem Fisch die notwendige Referenz für das Richtungshören. Ein Modell für das Richtungshören aus den 1970er Jahren sagte genau das voraus – wir konnten es nun erstmalig experimentell bestätigen“, sagt Prof. Judkewitz. Auch die Tatsache, dass sich das Richtungshören überlisten lässt, indem man den Schalldruck umkehrt, konnte das Team belegen. Die Fische schwammen in die entgegengesetzte Richtung, also zur Schallquelle hin.
Wie Micro-CT-Aufnahmen des Hörapparats von Danionella zeigen, ähnelt dieser dem Sinnesorgan von etwa zwei Dritteln der lebenden Süßwasserfische und somit rund 15 % aller Wirbeltierarten. Die nun bestätigte Strategie des Richtungshörens, das kombinierte Auswerten von Schalldruck und Schallschnelle, könnte demnach weit verbreitet sein. Welche Nervenzellen im Einzelnen aktiv werden, wenn Töne unter Wasser abgespielt werden, dem wollen die Forschenden in weiteren Schritten auf die Spur kommen.
Link zur Originalpublikation:
"The mechanism for directional hearing in fish" (nature.com)
Quelle (nach Angaben von):
Charité-Forschende lösen Rätsel des Richtungshörens unter Wasser (charite.de) 19.06.2024
(IR)