Wissenschaftler*innen der TU Berlin haben mit Hilfe von 3D-Biodruck erstmals ein Modell der Leber aus menschlichen Zellen hergestellt, ohne dabei auf Materialien tierischen Ursprungs zurückgreifen zu müssen. Dieser Erfolg sei ein wichtiger Schritt hin zu biomedizinischer Forschung und Lehre, die vollständig auf Methoden ohne Tierleid aufbaut. Bisher ist es nämlich so, dass auch Ersatzmethoden für Tierversuche zum Beispiel Nährlösungen verwenden, die aus den Föten von Kälbern gewonnen werden. Und unter anderem für den 3D-Druck von Organmodellen benötigte man bisher strukturbildende Stoffe, die aus Tumoren stammen, die man in Mäusen wachsen lässt. Definitiv fragliche ethische Aspekte.
Übertragbarkeit oft schwierig
Menschliche Zellen, die mit Hilfe von Blutserum aus Kälbern ernährt und zur Vermehrung angeregt werden, aus denen dann mit Hilfe strukturfördernder Stoffe aus Mäuse-Tumoren menschliche Organmodelle gedruckt werden: „Wenn man sich diese Produktionsschritte vor Augen führt, erkennt man eigentlich schon, dass sich hier ein Potential für Fehler auftut, wenn man aus Experimenten mit diesen Organmodellen auf die tatsächlichen Vorgänge im menschlichen Körper schließen will“, erklärt Prof. Dr. Jens Kurreck, Leiter des Fachgebiets Angewandte Biochemie an der TU Berlin. Und dabei seien die Organmodelle aus menschlichen Zellen im Prinzip schon wesentlich besser in ihrer Vorhersagekraft als entsprechende Tierversuche, wenn es um die gleiche Fragestellung geht. Hier werden zwar auch schon beispielsweise menschliche Tumorzellen in Tiere eingebracht. Diese menschlichen Zellen liegen dann aber immer noch in Tiergewebe als Umgebung und kommunizieren auch mit diesen tierischen Zellen, was eine Übertragbarkeit der Erkenntnisse auf den Menschen sehr erschwert.
Hinzu komme, so Kurreck, dass die genaue Zusammensetzung tierischer Produkte wie etwa des fötalen Kälberserums immer schwanke. Man könne sich also nicht darauf verlassen, dass die eine Charge zum Beispiel das Wachstum der Zellen genauso anregt wie die andere. „90% aller im Labor und in Tierversuchen aussichtsreichen Kandidaten für Arzneimittel und sogar 97% aller Kandidaten für Krebsmedikamente scheitern letztlich bei der Erprobung am Menschen. Will man hier besser werden, muss das Ziel sein, irgendwann ganz ohne Tierversuche und auch ganz ohne tierische Zusatz- und Hilfsstoffe auszukommen.“
Ersatz durch chemisch genau definiertes Nährmedium
Mit dem ersten Gewebe-Modell der Leber völlig ohne Materialien tierischer Herkunft ist dem Doktoranden Ahmed Ali und weiteren Mitgliedern aus der Arbeitsgruppe von Jens Kurreck nun ein großer Schritt in diese Richtung gelungen. Sie haben dafür das fötale Kälberserum durch ein chemisch genau definiertes Nährmedium aus Wachstumsfaktoren, Insulin, Selen sowie Zuckern und Salzen ersetzt. „Wir mussten dieses Nährmedium nicht nur auf den speziellen Typ der von uns verwendeten menschlichen Leberzellen anpassen, sondern die Zellen auch in einem langsamen Prozess an die neue Umgebung gewöhnen“, erzählt Kurreck. Denn geliefert wurden die Ausgangszellen für den Start des Experiments natürlich noch von einer Firma, die Kälberserum zu ihrer Vermehrung genutzt hatte.
Als Ersatz für das strukturfördernde Gemisch BME aus den Mäuse-Tumoren verwendeten die Wissenschaftler*innen humanes Kollagen aus Plazentas, die in Wiener Krankenhäusern nach Geburten sonst als Abfall entsorgt worden wären. „Was sich so einfach anhört, war in der Praxis ein komplexer Anpassungsprozess, der viel Ausprobieren und auch eine umfassende Literaturrecherche notwendig machte“, sagt Jens Kurreck. So mussten zum Beispiel die Plastikschalen, in denen die Zellen kultiviert wurden, extra mit humanem Kollagen aus den Plazentas beschichtet werden, um eine ähnlich gute Haftung wie bei der herkömmlichen Methode zu erreichen.
Testergebnisse bestätigen die Gleichwertigkeit
Um ihr neues, tierleidfreies Leber-Modell zu testen, haben die Forscher*innen es in Kontakt mit dem Giftstoff Okadasäure gebracht, der von Algen produziert wird, sich in Muscheln ansammelt und zu schweren Fischvergiftungen führen kann. Es zeigte sich, dass zweidimensionale gedruckte Strukturen der Zellen die gleiche Empfindlichkeit gegenüber dem Giftstoff aufwiesen, egal ob sie mit den alten oder den neuen Substanzen ohne tierische Herkunft gezüchtet und gedruckt worden waren. Ein dreidimensionales Gewebemodell der Leber wies ebenfalls die von den Forscher*innen für diesen Fall erwartete Empfindlichkeit auf.
Baldige Überführung in die Praxis
Dass ihre neue, tierleidfreie Methode nicht nur schnell einen Weg in die Praxis, sondern auch eine breite Anwendung findet, sehen die beteiligten Wissenschaftler*innen optimistisch. Eine zukünftige Optimierung der tierleidfreien Methode wird in Zusammenarbeit mit dem Fachgebiet für Bioverfahrenstechnik der TU Berlin angestrebt. So könnten etwa die humanen Kollagene in Zukunft in den benötigten Mengen möglicherweise von Hefezellen hergestellt werden – oder in fernerer Zukunft sogar direkt von menschlichen Zellkulturen.
Quelle (nach Angaben von):
Ersatz für Tierversuche – jetzt ganz ohne Tierleid - TU Berlin. 07.05.2024
(JD)