
Parasiten werden meisten als Bedrohung angesehen, doch das häufig zu Unrecht! Denn sie spielen in vielen Ökosystemen eine wesentliche Rolle. Deshalb ist es Zeit umzudenken und die schmarotzenden Tiere zu schützen.
Parasiten sind Organismen, die in einer intensiven und langen Beziehung mit ihren Wirten leben. Wissenschaftler schätzen, dass 40 bis 50 Prozent aller Tierarten in diese Gruppe fallen. So gut wie jede freilebende Spezies auf dem Planeten hat mindestens einen Parasiten, der sich auf sie spezialisiert hat. Die weiteste Definition des Begriffs »Parasit« umfasst auch Krankheitserreger wie Bakterien, Viren, Protozoen und Pilze. Viele Parasitologen konzentrieren sich jedoch auf mehrzellige Metazoen: Tiere, die Hunderttausende von Arten umfassen, darunter bis zu 300 000 verschiedene Arten von Würmern, die allein Wirbeltiere parasitieren.
Parasiten – vielfältig und zahlreich
Metazoische Parasiten umfassen 15 Stämme und reichen von mikroskopisch kleinen, kaum mehrzelligen Winzlingen bis hin zu 40 Meter langen Bandwürmern, die sich in den Därmen von Walen zusammenrollen. Die verschiedenen Arten unterscheiden sich phylogenetisch so sehr voneinander wie Menschen von Insekten oder Quallen. Parasiten leben in jedem Lebensraum auf jedem Kontinent und in jeder Öffnung, jedem Organ und jedem Körperteil ihrer Wirte. Und sie gehören zu den extremsten Spezialisten der Welt, mit wild verschlungenen Lebenszyklen, die manchmal bis zu fünf verschiedene Wirte erfordern, um sich vom Ei über die Larve zum erwachsenen Organismus zu entwickeln. Dennoch sind sich nur relativ wenige Biologen – und sonst ohnehin kaum jemand – über die vielen Arten bewusst, die jenseits der winzigen Anzahl von Parasiten existieren, die für den Menschen lästig oder schädlich sind – darunter Bandwürmer, Madenwürmer und Hakenwürmern. Aus diesem Grund stammt eigentlich fast alles, was wir heutzutage über Parasiten wissen, aus Studien darüber, wie man sie abtöten kann.
Parasitenökologie wächst rasant
Doch langsam ändert sich etwas - Die Krankheits- und Parasitenökologie ist der am schnellsten wachsende Teilbereich der Ökowissenschaften. Je größer das Forschungsfeld, umso mehr Beweise tauchen auf, die darauf hindeuten, dass Parasiten wesentliche Funktionen in der Natur innehaben. Eine relativ neue Studie offenbarte etwa, dass Parasiten für 75 Prozent der Verbindungen in Nahrungsnetzen verantwortlich sind; eine andere zeigte, dass sie wertvolle Dienste Ökosystemen verrichten – darunter die Schädlingsbekämpfung, deren ökonomischer Wert Fachleute auf Milliarden von Dollar schätzen.
Wie Raubtiere können auch Parasiten Auswirkungen auf die Populationen anderer Organismen in ihrem Lebensraum haben, was sich auf alle Bereiche auswirkt, vom Nährstoffkreislauf über die Pflanzenarten, die dort wachsen, bis hin zur Häufigkeit von Räubern an der Spitze der Nahrungskette. Mit anderen Worten: „Parasiten spielen eine wichtige Rolle in der Natur, die bisher einfach übersehen wurde. Ihre Kontrolle von Populationen funktioniert anders als die von Raubtieren: Sie ist langsamer, aber ihre Wirkung kann genauso weitreichend sein.“ – so Armand Kuris, ein Parasitenökologe an der University of California, Santa Barbara.
In gleichem Maße, wie die entscheidende Rolle der Parasiten aufgedeckt wird, zeigen die Arbeiten von Wood, dass viele dieser wichtigen Tiere in Schwierigkeiten sind. Wie alle Arten haben sie mit Gefahren wie Klimawandel, Lebensraumzerstörung, Umweltverschmutzung und mehr zu kämpfen. Da ihr Schicksal außerdem von Wirten abhängt, die oftmals selbst gefährdet sind, fällt die Bedrohung sogar doppelt aus. Das trifft besonders auf hochspezialisierte schmarotzende Organismen zu, die nur auf oder in einer einzigen Art leben. Doch der Schutz von Parasiten – und damit die Erhaltung ihrer Rolle in der Natur – ist ein schwieriges Unterfangen. Viel hängt davon ab, ob es gelingt, die politischen Entscheidungsträger, die Öffentlichkeit und eine breitere Gemeinschaft von Wissenschaftlern davon zu überzeugen, dass sich ihre Rettung lohnt.
Forschung mit Parasiten
Woods Labor beschäftigt sich mit einer einzigen Frage aus verschiedenen Blickwinkeln: Wie beeinflusst das, was Menschen in Ökosystemen anrichten, die Parasiten? In einem Projekt vergleicht ihre Arbeitsgruppe die Übertragung von Parasiten in Korallenriffen, die unterschiedlich stark unter dem Einfluss des Menschen stehen. Ein anderes Projekt untersucht, wie sich die Ökologie von Flüssen, Seen und Teichen, die als Wasserentnahmestellen dienen, auf die Zahl der Bilharziose-Infektionen der Menschen in Westafrika auswirkt. Was Wood jedoch am meisten reizt, ist die Art und Weise, wie sich die Parasiten und deren Vorkommen im Laufe der Zeit verändert haben. Die Vergangenheit gibt Aufschluss darüber, was normal war, bevor der Einfluss des Menschen auf die Umwelt überhandnahm. Welche Ausgangsbedingungen sollten wir anstreben, um die Natur zu erhalten oder wiederherzustellen? Im Gegensatz zu gut erforschten, allseits beliebten Tieren wie Elefanten oder Tigern existieren über Parasiten kaum Daten. Dementsprechend haben Wissenschaftler keine Ahnung, wie sich ihre Populationen im Laufe der Zeit verändert haben. Wood hat jedoch beobachtet, dass sowohl in der Wissenschaft als auch in den Medien die Vorstellung verbreitet ist, dass die Parasitenpopulationen auf Grund menschlicher Einflüsse auf die Natur außer Kontrolle geraten seien.
Parasiten werden als Belastung gesehen
„Man geht davon aus, dass mit der Verschlechterung der Umwelt auch die Parasiten zunehmen werden, weil man sie als zusätzliche Belastung für das System betrachtet“, sagt Kevin Lafferty, Krankheitsökologe beim U.S. Geological Survey. Diese Vorhersage, so Lafferty, zeuge von einer großen Unkenntnis der Parasitenökologie im Allgemeinen. Auch Wood denkt, dass die Geschichte wahrscheinlich viel komplexer ist. Wie jede andere Tierart, die mit Umweltveränderungen konfrontiert ist, so ihre Hypothese, würde es im Laufe der Zeit Gewinner und Verlierer unter den Parasiten geben. Die einzige Möglichkeit, diese Hypothese zu überprüfen, bestünde darin, das heutige Parasitenvorkommen mit dem der Vergangenheit zu vergleichen.
Fast ein Jahrzehnt lang suchte Wood nach unkonventionellen Quellen, die helfen könnten, die Lücke in den historischen Daten zu schließen. An einem ungewöhnlichen Ort wurde sie schließlich fündig: bei der Fischsammlung der University of Washington im Burke Museum of Natural History and Culture. In diesem unscheinbaren Kellerraum werden die Überreste von etwa 13 Millionen Meeresexemplaren konserviert und in 40 000 mit Ethanol gefüllten Gläsern aufbewahrt. Es ist die größte Fischsammlung Nordamerikas. Doch die schuppigen Gesellen, die hier gelagert werden, sind bei Weitem nicht so zahlreich wie die Parasiten, die zu Millionen auf ihrer Haut, ihren Kiemen, Muskeln und Eingeweiden kleben. Die Fische sind wie Parasiten-Zeitkapseln, so Wood.
Wurm im Fisch ist eine gute Nachricht
Chelsea Wood, eine Parasitenökologin an der University of Washington, USA erklärt, warum beispielsweise ein Fadenwurm in einem Fischfilet eine positive Entdeckung ist: Die typischen Wirte dieses Parasiten sind Wale, Delfine, Robben und Seelöwen – Tiere, die an der Spitze der Nahrungskette stehen. Das Vorhandensein der Würmer im Fisch ist ein Zeichen dafür, dass das Ökosystem, aus dem er stammt, intakt ist und dass es in der Nähe eine gesunde Population von Meeressäugern gibt.
„Das Ausmaß unserer Unwissenheit über Parasiten ist wirklich unverzeihlich.“ – so Wood.
Das Aufspüren der Parasiten ist jedoch nur der erste Schritt. Würmer sind mitunter unglaublich schwer zu unterscheiden. Die sichtbaren Merkmale beschränken sich auf die Anzahl der winzigen Stacheln oder Haken an einem mikroskopischen Anhängsel. Daher erfordert die Identifizierung der Arten viel Übung, Geduld und akribisches Vorgehen. »Unsere Arbeit unterstreicht den Wert der morphologischen Taxonomie«, sagt Rachel Welicky, eine ehemalige Postdoc-Forscherin in Woods Labor, die jetzt als Assistenzprofessorin an der Neumann University in Pennsylvania arbeitet. Sie nennt es »eine Kunstform, die gerade verloren geht«.
Neben der akribischen Analyse der Museumsexemplare wendet sich Woods Team sich inzwischen auch anderen Ressourcen zu. Zwar existieren kaum langfristige Datensätze für das Vorkommen einer einzelnen Parasitenart, dennoch gibt es vereinzelt Studien, die den Parasitismus an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit dokumentieren. In einem 2020 veröffentlichten Artikel fasste die Gruppe um Wood solche Ergebnisse für zwei Arten von Parasiten zusammen, die in rohem Fisch vorkommen, der häufig in Sushi und Ceviche verwendet wird. Dazu betrachteten die Forscher insgesamt 123 Studien aus dem Zeitraum von 1967 bis 2017. Sie fanden heraus, dass einer der Würmer heute noch genauso häufig vorkommt wie in der Vergangenheit, während der andere Wurm seit den 1970er Jahren einen unglaublichen Anstieg, um das 283-Fache zu verzeichnen hatte. Wurmhaltiges Sushi kann bei Menschen zu Erbrechen und Durchfall führen, aber Wood macht sich eher Sorgen um Meeressäuger – die eigentlichen Wirte des Wurms. Normalerweise entzieht ein einzelner Wurm seinem Wirt nicht viel Energie. Wenn die Zahl dieser Parasiten jedoch sprunghaft ansteigt, könnten sie ein Problem für Meeressäuger darstellen, insbesondere für Populationen, die bereits unter Stress stehen.
Die vom Aussterben bedrohte Gruppe der Schwertwale im Puget Sound zum Beispiel leidet unter Umweltverschmutzung, Schiffslärm und einem Mangel an Lachsen als Nahrung. Im Jahr 2018 wurde ein abgemagertes Schwertwal-Kalb in der Meeresbucht gefunden. Die Behörden versuchten erfolglos, das Kalb zu retten. Noch bevor es verendete, fanden Wissenschaftler heraus, dass sein Kot voller Parasiteneier der gleichen Sushi-Wurmfamilie war, die Woods Studie identifiziert hatte. Dies allein beweist nicht, dass Parasiten eine Rolle beim Tod des Kalbes gespielt haben. Aber es deute darauf hin, dass die schmarotzenden Organismen einer ohnehin schon angeschlagenen Population das Leben noch schwerer machen könnten, sagt Wood.
Wenn Parasiten der Wirtschaft schaden
Abgesehen von den möglichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen und Wildtieren kann ein Anstieg der Parasitenpopulationen auch bestimmten Wirtschaftszweigen schaden. Die Meeresbucht Puget Sound ist zum Beispiel berühmt für die Produktion Pazifischer Austern mit perlmuttfarbenen, makellosen Schalen. Doch im Jahr 2017 brachte ein Kollege ein Exemplar in Woods Büro, deren Schale mit Furchen und dunklen, hässlichen Flecken übersät war – Anzeichen für einen Austernschädling namens Polydora, der sich durch die Muschel bohrt. Obwohl die Parasiten selbst nicht gefährlich sind, wenn man sie verspeist, bilden sie mit Schlamm und Wurmkot gefüllte Blasen auf den Austernschalen und vernarben diese durch ihr gefräßiges Graben von Tunneln. Selbstverständlich möchten Restaurantbesucher so etwas nicht auf ihrem Teller haben.
Rettung der Parasiten
Die hauptsächliche Aufmerksamkeit gilt der Zunahme von Parasiten, weshalb sich Wood auf die Abnahme der Populationen sowie deren Auswirkungen auf Menschen und Wildtiere konzentriert. Manchmal liefert ein Rückgang Grund zur Freude, etwa wenn es um die Ausrottung des Guineawurms geht – ein spagettiähnlicher Parasit, der im Verdauungstrakt eines infizierten Menschen bis zu zweieinhalb Meter lang wird, bevor er in die Haut wandert und sie schließlich durchbohrt. Aber die überwiegende Mehrheit der Parasitenarten befällt den Menschen nicht, und hier ist der Schwund teilweise Besorgnis erregend.
Was das bedeutet, weiß man nicht. Wir fangen gerade erst an zu verstehen, wie sich ein solch extremer Verlust an Biodiversität auswirken könnte. Nehmen wir zum Beispiel die Manipulation des Wirts, die einige Parasiten beherrschen. „Sie verlagern Energie von niedrigeren auf höhere trophische Ebenen, indem sie die Beute rücksichtslos machen“, erklärt Wood. Euhaplorchis californiensis ist ein Plattwurm, der im Larvenstadium ein wenig wie ein Spermium aussieht, mit einem großen Kopf und einem langen Schwanz. Der Plattwurm beginnt sein Leben in einer Schnecke, wandert dann in einen kalifornischen Killifisch und gelangt schließlich in den Darm eines räuberischen Wasservogels, zum Beispiel eines Reihers oder Seidenreihers. Killifische sind eigentlich vorsichtige Tiere, die sich in der Regel gut verstecken, was dem Ziel des Plattwurms zuwiderläuft. Daher bildet der Parasit Zysten im Gehirn seines Wirts, die den Fisch dazu veranlassen, an der Wasseroberfläche herumzuspritzen und seinen glänzenden Bauch zu zeigen, um die Vögel anzulocken. Forscher haben herausgefunden, dass die Wahrscheinlichkeit, von einem Vogel gefressen zu werden, bei infizierten Killifischen 10- bis 30-mal höher ist als bei nicht infizierten. Insgesamt tragen die Trematoden dazu bei, dass ein erheblicher Teil der Killifischpopulationen leichter als Mahlzeit für Vögel zur Verfügung steht. Gewissermaßen subventioniert der Parasit den Speiseplan dieser Raubvögel. Wenn bestimmte Parasitenarten zurückgehen oder sogar verschwinden, könnte es für manche Raubtiere viel schwieriger werden, zu überleben, erklärt Wood.
Wie kann man Parasiten schützen?
Da immer offensichtlicher wird, dass Parasiten in Ökosystemen eine wichtige Rolle spielen, beginnt eine kleine, aber wachsende Gruppe von Wissenschaftlern, ernsthaft über die Notwendigkeit eines gezielten Parasitenschutzes nachzudenken. Im August 2020 veröffentlichte der Parasitenökologe Colin Carlson von der Georgetown University in den USA zusammen mit Wood, Hopkins und neun weiteren Wissenschaftlern einen 12-Punkte-Plan für den Schutz von Parasiten im nächsten Jahrzehnt. Zunächst einmal, so schreiben sie in der Zeitschrift »Biological Conservation«, können wir uns nicht um etwas kümmern oder es erhalten, von dem wir nicht wissen, dass es existiert. Sie fordern die wissenschaftliche Gemeinschaft daher auf, die Vielfalt der Parasiten zu beleuchten und bis 2030 mehr als 50 Prozent der Parasitenarten zu beschreiben.
Sobald Daten über die Ökologie und den Lebenszyklus der einzelnen Arten vorliegen, so die Autoren, könnten schutzbedürftige Parasiten identifiziert und dann relativ einfach in vorhandene Artenschutzprogramme integriert werden. Der Schutz von Parasiten kann sozusagen im Huckepack mit bestehenden Bemühungen zur Rettung gefährdeter anderer Arten erfolgen. Bedrohte Parasiten können auch in verschiedene Verzeichnisse zur Erfassung und zum Schutz bedrohter Pflanzen und Tiere aufgenommen werden. Nur ein einziger tierischer Parasit, die Blut saugende Schweinelaus, steht derzeit auf der Roten Liste der bedrohten Arten der »International Union for Conservation of Nature«.
Fazit
Hopkins, Wood und ihre Kollegen wissen, dass Parasiten ein ernsthaftes Imageproblem haben. Gleichwohl sind sie zuversichtlich, dass sich dies ändern kann. Sie vergleichen den Stand des Parasitenschutzes mit der Situation, in der sich der Raubtierschutz noch vor wenigen Jahrzehnten befand. Damals betrachteten viele Forscher und die Öffentlichkeit Bären, Wölfe und andere Raubtiere als gefährlich für Mensch und Vieh und gar schädlich für die Natur. Vor allem Letzteres erwies sich als grundlegend falsch. Heute wissen Wissenschaftler, dass Raubtiere Schlüsselarten sind – also Arten, von deren Existenz ganze Ökosysteme abhängen. Werden sie entfernt, kann dies eine regelrechte Kaskade an negativen Auswirkungen auslösen: vom Ausbruch von Krankheiten über die Störung des Nährstoffkreislaufs bis hin zur Verlagerung von Arten in völlig andere Lebensraumtypen. Doch sobald die Wissenschaft die Bedeutung der Raubtiere erkannt hatte, wurde auch die Öffentlichkeit auf sie aufmerksam. Daher hofft Wood, dass Menschen bereit sein werden, ebenfalls einen Blick in die Blackbox zu werfen, in die man die schmarotzenden Tiere bislang gesteckt habe.
Quelle (nach Angaben von):
Spektrum.de (16.05.2022). "Auch Parasiten brauchen Schutz". Im Internet: Ökologie: Auch Parasiten brauchen Schutz - Spektrum der Wissenschaft; 31.05.2022.