
Die Detailaufnahme zeigt den Fußbereich von Hydra mit einer hohen Dichte an Nervenzellen: Sowohl die Neuronen im Ekto- als auch im Endoderm sind zu erkennen.
Im Laufe der Evolution haben Lebewesen Stück für Stück komplexere Nervensysteme hervorgebracht, um immer vielschichtigere sensorische, motorische und kognitive Funktionen zu koordinieren und die mit ihnen zusammenhängenden Verhalten zu steuern. In den letzten Jahren haben verschiedene Forschungsarbeiten gezeigt, dass schon einfache Lebewesen mit diffusen Nervensystemen komplexe neuronale Verhalten zeigen können, zum Beispiel die Verarbeitung visueller Signale oder auch sogenanntes assoziiertes Lernen. Forschende aus der Arbeitsgruppe Zell- und Entwicklungsbiologie am Zoologischen Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) beschäftigen sich mit einem solchen einfachen Vielzeller, dem Süßwasserpolypen Hydra.
Nervensystem kann metabolischen Zustand messen
In vorgegangenen Forschungsarbeiten konnte das Forschungsteam bereits erste Zusammenhänge zwischen dem Fressverhalten von Hydra und den beteiligten Neuronen herausarbeiten. Es gelang den Forschenden dabei, bestimmte Nervenpopulationen des Süßwasserpolypen zu identifizieren, die unter anderem die Mundöffnung der Tiere steuern. Dabei beobachteten sie, dass satte Tiere anders auf Nahrungsreize reagierten als hungrige und auch eine reduzierte Fortbewegung nach der Nahrungsaufnahme zeigten.
In einem nächsten Schritt wollten die Forschenden nun herausfinden, wie die Tiere einen so komplexen metabolischen Zustand wie das Sättigungsgefühl integrieren und dann das Verhalten ändern. In einer nun veröffentlichten Forschungsarbeit konnten sie nachweisen, dass das Nervensystem von Hydra den inneren metabolisch Zustand tatsächlich 'messen' kann: Sie fanden heraus, dass Hydra über 2 bestimmte, indirekt miteinander verbundene Nervenpopulation verfügt, deren Aktivität sich in Abhängigkeit vom Sättigungsgefühl verändert. Ähnlich wie bei den komplexeren Wirbeltieren ist eine Nervenpopulation verantwortlich für die Verdauung, und eine andere für die Integration des Sättigungszustandes und Veränderung des Verhaltens. Damit zeichnen sich hier möglicherweise frühe Anzeichen für eine Zentralisierung des Nervensystems ab
Sättigungsgefühl hemmt bestimmte Verhaltensmuster
Zunächst untersuchten die Forschenden, welchen direkten Einfluss die Fütterung auf die Nahrungsaufnahme von Hydra hatte. Tiere, die mit ihrer natürlichen Nahrung gefüttert wurden, zeigten bis zu 8 Stunden danach eine eingeschränkte Reaktion auf Futterreize und öffneten ihre Mundöffnung signifikant langsamer bis überhaupt nicht.
In zusätzlichen Versuchen konnte das Forschungsteam weitere Verhaltensänderungen beobachten, die indirekt mit der Nahrungsaufnahme zusammenhängen. „So zeigten gefütterte Hydren eine deutlich geringere Anziehung durch Lichtreize und eine ebenso starke Unterdrückung der natürlichen Bewegungsmuster im satten Zustand. Hydra bewegt sich auf der Suche nach Nahrung auf das Licht zu und vollzieht dabei eine purzelbaum-artige Fortbewegungsweise. Das Sättigungsgefühl hemmt auch diese Verhaltensmuster, denn satte Tiere müssen sich vorübergehend nicht auf Nahrungssuche begeben“, fasst Dr. Christoph Giez, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Zell- und Entwicklungsbiologie, zusammen.
Metabolischer Zustand beeinflusst Nervenpopulationen
Im nächsten Schritt gingen die Kieler Forschenden der Frage nach, wie die neuronale Steuerung dieses umfangreichen Verhaltensrepertoires abläuft und ob das „Messen“ des metabolischen Zustands sich in der Aktivität bestimmter Nervenzellen nachweisen lässt. So konnten die Forschenden feststellen, dass eine Nervenpopulation in der äußeren Gewebsschicht eine erhöhte Frequenz bei Fütterung zeigt, unabhängig von schon vorhandener Nahrung in der Körperhöhle. Dahingegen scheint eine Nervenpopulation in der inneren Gewebsschicht vor allem von einer mechanischen Stimulierung durch Nahrungsbestandteile abhängig zu sein.
Um einen Zusammenhang der Aktivität dieser beiden Nervenpopulationen und dem von der Sättigung der Tiere abhängigen Verhalten zu untersuchen, unternahmen die Forschenden weitere funktionale Experimente. Durch diese konnten Sie zeigen, dass bestimmte Nervenpopulationen in Hydra bereits zentrale Funktion ähnlich wie in komplexeren Nervensystemen übernehmen können.
Abschließend untersuchte das Forschungsteam, ob bestimmte mit dem Fressverhalten zusammenhängende Peptide oder Neurotransmitter bei hungrigen und satten Hydren unterschiedlich stark produziert werden. Das Ergebnis: ein bestimmtes Neuropeptid sei bei satten Tieren deutlich runterreguliert. Möglicherweise spiele dieses Peptid, eine wichtige Rolle in der Appetitregulierung bei Hydra, indem es an einer indirekten Kommunikation zwischen den inneren und äußeren Nervenpopulationen beteiligt ist.
Grundlage für weitere Forschungsarbeiten
Insgesamt gelang es den Forschenden damit, die neuronale Regulation des Sättigungsgefühls bei Hydra hauptsächlich auf 2 Nervenpopulationen und ihre Auswirkungen auf ein ganzes Spektrum von fütterungsbezogenen Verhaltensmustern zurückzuführen. „Damit konnten wir belegen, dass ein ganz einfaches System wie das diffuse Nervennetz des Süßwasserpolypen bereits in der Lage ist, etwas so Komplexes wie den internen metabolischen Zustand des Tieres zu erkennen und darauf aufbauend das Verhalten zu regulieren.“, fasst der Leiter der Arbeitsgruppe, Professor Thomas Bosch, zusammen.
Quelle (nach Angaben von):
Evolutionäre Ursprünge des Appetits. 24.05.24
(JD)