
Arzneimittelrückstände wirken sich negativ auf die Umwelt aus. Deshalb sollten Tierärzte sorgsam sein und individuell abwägen, ob der Arzneimitteleinsatz bei einem Patienten notwendig ist. - Symbolbild
Massentierhaltung führt zu einer Überproduktion von Gülle und damit zu einer Überdüngung unserer Böden – keine Frage. Aber es ist nicht nur der übermäßige Nitratgehalt, der unseren Böden und dem Grundwasser zu schaffen macht, auch andere Stoffe wie Arzneimittelrückstände wirken sich negativ auf die Umwelt aus. Damit wird ganz klar: Wir Tierärzte sind in der Pflicht.
Hunderte Wirkstoffe belasten die Umwelt
Wenn es um Umweltbelastung und Rückstände geht, steht zu allererst die Massentierhaltung unserer Nutztiere und die daraus resultierende Überdüngung mit ihrem Nitrateintrag im Fokus [1]. Unbeachtet bleibt dabei, dass ebenso die Behandlung von Haustieren und Pferden, die in der Vergangenheit eine enorme Wandlung ihres Stellenwerts erfahren haben, einen markanten Eintrag von Arzneimittelrückständen in die Umwelt leistet [2]. Dabei handelt es sich nicht nur um Antibiotika: In der Datenbank des Bundesumweltamts, das seine Angaben aus gut 2000 Publikationen schöpft, sind derzeit stolze 414 Wirkstoffe (oder deren Metabolite) allein für Deutschland gelistet, deren Nachweisbarkeit in der Umwelt über dem zulässigen Grenzwert liegt. Für die EU-Mitgliedsländer sind 749 Wirkstoffe und weltweit sogar 992 Stoffe aufgeführt. Am häufigsten finden sich diese Rückstände im Oberflächen- und Grundwasser, im Leitungs- und Trinkwasser sowie im Boden und Sediment [3]. In Deutschland dominieren gängige Wirkstoffgruppen wie Antibiotika (z.B. Ampicillin, Gentamicin, Erythromycin), Entzündungshemmer (wie Ketoprofen, Prednisolon u.a.), Anthelminika (z.B. Flubendazol) und Insektizide (etwa Permethrin). Sogar Chemotherapeutika (wie Vincristin) sind in der Datenbank gelistet [4].
Der Eintrag von Rückständen in die Umwelt
Doch wie kommt es zu solchen Rückständen in der Umwelt? 40-90% der Wirkstoffe werden durch das behandelte Tier wieder ausgeschieden und landen mit den Fäkalien in der Umwelt. Durch eine Lagerung, Kompostierung und Vergärung in Biogasanlagen etwa von Gülle kann der Eintrag deutlich vermindert werden. Je nach Substanzklasse können die Wirkstoffe z.B. durch Abschwemmung in Oberflächenwasser gelangen, sie können durch den mikrobiellen Abbau der Bodenoberfläche freigesetzt werden oder sich in Bodenpartikeln anlagern und anreichern. Mit dem Sickerwasser gelangen sie in das Grundwasser und belasten das Trinkwasser. Durch die Aufnahme von Futterpflanzen gelangen sie wiederum ins Tier und ggf. in Nahrungsmittel.
Wir Tierärzte sind am Zug
Mit dem Wissen und Bewusstsein um diese Problematik kommt uns Tierärzten also eine besondere Verantwortung im Umgang mit Arzneimitteln zu. Wir halten das Ruder in der Hand, wenn es darum geht, den Eintrag von Wirkstoffen in die Umwelt so gering wie möglich zu gestalten: Zwar ist jedes Tierarzneimittel auf seine Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit im Rahmen des Zulassungsverfahrens für die entsprechende Tierart, den Anwender und die Umwelt geprüft, ein Eintrag in die Umwelt lässt sich durch die tierischen Ausscheidungen oder womöglich auch durch einen unsachgemäßen Umgang damit trotzdem nie ganz verhindern. Es ist also erforderlich, dass wir Tierärzte uns ein sorgsames und bewusstes Handling von Tierarzneimitteln aneignen und die Tierhalter entsprechend beraten. Doch wie genau sehen Gegenmaßnahmen zur Vermeidung von Arzneimitteleinträgen konkret aus?
Es beginnt viel früher – Prävention als wichtigstes Werkzeug
Arzneimittel gelangen dann nicht in die Umwelt, wenn wir sie nicht brauchen – also dann, wenn Tiere erst gar nicht erkranken. Wichtig ist es daher, die Lebens-, Fütterungs- und Haltungsbedingungen unserer Tiere so zu gestalten, dass sie möglichst artgerecht sind. Das Immunsystem wird hierdurch maßgeblich beeinflusst. Gleichwohl tragen auch Impfungen effektiv dazu bei, Infektionen zu verhindern. Regelmäßige Gesundheitschecks lassen außerdem eine Erkrankung ggf. schon viel früher erkennen, sodass mit weniger Aufwand gegengesteuert werden kann.
Braucht mein Patient dieses Arzneimittel?
Ein sorgsamer Umgang heißt auch, dass wir Tierärzte kritisch hinterfragen, ob der Arzneimitteleinsatz überhaupt gerechtfertigt ist. Muss eine vierteljährliche Entwurmung in einem gut geführten, sauberen Pferdebestand denn tatsächlich immer noch sein, oder sollte nicht besser auf ein Parasitenmanagement mittels selektiver Entwurmung umgestellt werden?
Darüber hinaus müssen wir den Tierhalter über die sachgemäße Anwendung sowie den Umgang mit tierischen Ausscheidungen und die Entsorgung von Restmengen aufklären: So ist es enorm wichtig, gerade den Kot eines unter Arzneimitteln stehenden Hundes einzusammeln und gewissenhaft im Hausmüll zu entsorgen – dies gilt im Übrigen auch für Katzenstreu! Oder wenn Spot-on-Präparate frisch aufgetragen wurden, sollte ein Waschen und Baden des Tieres unbedingt vermieden werden, um die Wirkstoffe nicht gleich wieder abzuspülen. Auch abgebürstete oder geschorene Haare von diesen Tieren sollten über den Restmüll entsorgt werden [5].
Auf die Applikationsart achten
Muss ein Tierarzneimittel tatsächlich eingesetzt werden, trägt die Art der Applikation wesentlich zur Rückstandsbildung bei. Gerade die orale Verabreichung von Arzneimitteln ist kritisch zu sehen, da ein größerer Anteil direkt wieder ausgeschieden wird. Wird das Arzneimittel auch noch in Form eines Pulvers verabreicht, kann es außerdem zu einer Wirkstoffverschleppung durch Staubbildung kommen. Die Verabreichung in Form von Granulaten ist hierfür deshalb besser geeignet.
Der Tierarzt hat den Tierhalter außerdem umfänglich darüber zu beraten, wie und wie lange das Tierarzneimittel angewendet werden soll. Nicht nur Dosierung, Zeitpunkt und Dauer der Anwendung müssen schriftlich mitgeteilt werden, sondern auch Umwelteinwirkungen, Lagerung und Entsorgung sollten erwähnt werden.
Umweltaspekte bei Verordnung von Tierarzneimitteln
Ebenso wie Nebenwirkungen sollten auch Umweltnebenwirkungen an das Pharmakovigilanzsystem im Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) gemeldet werden. So können mehr und mehr Fakten gesammelt und mehr Erkenntnisse gerade über noch unbekannte Umweltwirkungen gewonnen werden [5].
Wir sind alles eins
Die Pandemie hat uns eindrücklich gelehrt, dass alles mit allem zusammenhängt. Künftig müssen wir nicht nur globaler denken, sondern uns eine integrative und vor allem interdisziplinäre Denkweise aneignen. Im One-Health-Ansatz kommt dies bestens zum Ausdruck: So hängt die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt eng und untrennbar miteinander zusammen. One Health unterstützt nicht nur die Vorbeugung von Erkrankungen, sondern auch die Zusammenarbeit von Veterinär-, Humanmedizin und den Umweltwissenschaften. Die Förderung der Biodiversität ist hierbei ein wichtiger Baustein [6].
- Matern E. Düngung aus den Fugen. Die Intensivtierhaltung belastet Böden und Grundwasser. Naturschutzbund (NABU). www.nabu.de/natur-und-landschaft/landnutzung/landwirtschaft/ umweltschutz/22854.html. Zuletzt aufgerufen am 04.12.202
- Bundesverband für Tierärzte e.V. Tierarzneimittel in der Umwelt: Wie können Tierhalter aktiv beitragen, um Einträge zu vermeiden? BfT 22.08.2024. www.bft-online.de/kleintiergesundheit/ tierarzneimittel-in-der-umwelt-wie-koennen-tierhalter-aktiv-beitragen-um-eintraege-zu-vermeiden
- Das Umweltbundesamt. Die UBA Datenbank – Arzneimittel in der Umwelt. https://www.umweltbundesamt.de/themen/chemikalien/arzneimittel/die-uba-datenbank-arzneimittel-in-der-umwelt#die-datenbank. Zuletzt aufgerufen am 04.12.2024
- AiU. Arzneimittel in der Umwelt. Stoffsuche. Tierarzneimittel. recherche.chemikalieninfo. de/aiu?sid=9f35a982-a071-412c-a90f-7c86b5712c2b&sv=s13&ps=25&page=3. Zuletzt aufgerufen am 04.12.2024
- Kemper M, Hein A, Lehmann S. Veterinärmedizin. Tierarzneimittel. Umwelt. Wie kann die Tiermedizin Einträge vermindern? Umweltbundesamt 2017. www.umweltbundesamt.de /sites/default/files/medien/421/publikationen/tam_broschuere_tiermedizin_online.pdf. Zuletzt aufgerufen am 04.12.2024
- Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Gesundheit One Health. BmZ. https://www.bmz.de/de/themen/one-health. Zuletzt aufgerufen am 04.12.2024