Typisch Alter
Im Alter sind degenerative Veränderungen auf zellulärer, organischer und genetischer Ebene physiologisch, wobei das „wahre“ Alter eines Hundes sehr von seiner Größe und seinem Gewicht abhängt. Bei Hundesenioren kommt es zudem zu einer Muskelatrophie aufgrund des Verlusts von Muskelfasern, reduzierter Sauerstoffversorgung und zunehmender Fibrose innerhalb der Muskulatur. Resultierend führt dies zu einer Minderung der Gelenkstabilität und erhöht den Stress auf Knochen und Knorpel. Besonders anfällig für die Muskelatrophie sind Haltungsmuskeln mit Typ-1-Fasern (kurze Fasern), Muskeln, die als Strecker der Gelenke fungieren und die nur über ein Gelenk ziehen.
Knorpel und Nerven
Im Knorpel ist die Zahl der Chondrozyten vermindert, es liegt ein geringerer Wassergehalt vor (Knorpelschicht wird dünner) und der Knorpel reagiert schlechter auf Wachstumsfaktoren, was insgesamt zu einer schlechteren Regeneration und verminderter Absorption von Kräften führt (schlechtere Stoßdämpferwirkung). Das Nervensystem unterliegt ebenfalls degenerativen Prozessen: Muskelspindeln sind weniger sensitiv, Gelenk- und Sehnenmechanorezeptoren sowie Nervenfasern liegen in geringerer Anzahl vor und auch die Nervenleitgeschwindigkeit sinkt.
Chancen
Die physiologischen Veränderungen an Muskulatur, Knorpel und Nervengewebe führen letztendlich beim geriatrischen Hund zur Osteoarthrose und die Beweglichkeit der Gelenke wird vermindert und führt zu Schmerzen. Da dies ganz „normale“ physiologische Prozesse während des Alterns sind, ist eine prophylaktische physiotherapeutische Begleitung des Hundeseniors sehr sinnvoll, selbst, wenn noch keine Bewegungsstörungen sichtbar sind. Die Ziele der Physiotherapie sind eine passende Schmerztherapie bzw. Schmerzreduktion, ein Koordinationstraining, die Wiederherstellung der Beweglichkeit und Muskelaufbau. Zusammen mit einer medikamentellen Schmerztherapie, Veränderung der Ernährung und der Gabe von Nahrungsergänzungsstoffen soll dies zu einer besseren Lebensqualität bei den Hundesenioren mit Osteoarthrose führen.
Physiotherapie
Der erste Schritt bei der physiotherapeutischen Behandlung ist eine gründliche Anamnese. Zudem ist ein Tierarztbericht über vorhandene oder zurückliegende Erkrankungen des Hundes hilfreich. Es sollte ein enger Austausch zwischen Physiotherapeut und Tierarzt stattfinden, um mögliche Kontraindikationen für bestimmte Anwendungen vorherzusehen.
Untersuchung
Auf die detaillierte Anamnese folgt die körperliche physiotherapeutische Untersuchung des Tieres: Es werden die Befunde vom Gang, der Haltung, der Muskelfunktion und -stärke gesammelt. Die Beweglichkeit der Gelenke und die Flexibilität der Muskulatur werden getestet. Wichtig hierbei ist die Objektivierung dieser Daten: Hilfreich sind dabei Schmerzskalen, Winkelmesser, ggf. Ganganalyse und Messung des Muskelumfangs mit dem Maßband.
Ansätze und Ziele
Die erhobenen Daten werden in einer Problemliste zusammengeführt und dann nach Wichtigkeit bzw. Priorität geordnet. Die Gewichtung der einzelnen Punkte aus der Problemliste führt zu den Rehabilitationsdiagnosen.
Nach der Diagnosestellung werden die Ziele mit den Besitzern besprochen. Es wird in speziellen Fällen auch besprochen, ob eine Operation sinnvoller ist. Dieser Punkt sollte auf keinen Fall unterschätzt werden, denn eine gute Kommunikation vermeidet Unzufriedenheit beim Physiotherapeuten und beim Besitzer.
FALLBEISPIEL: REHABILITATION NACH EINER TIBIAFRAKTUR
Die physiotherapeutischen Diagnosen bei einer linksseitigen Tibiafraktur sind gegebenenfalls: Schwäche des M. gastrocnemius, M. tibialis cranialis und der Extensoren und Flexoren der Zehen sowie Verspannungen der Rückenmuskulatur. Wahrscheinlich sind die Verspannungen der Rückenmuskulatur eine Folge der Schwäche bzw. der Lahmheit der linken Hintergliedmaße. Somit liegt die Priorität der Behandlung in der Stärkung der Muskulatur der linken Hintergliedmaße.
Therapieplan
Als nächstes wird der Therapieplan aufgestellt, der definiert, welche therapeutischen Anwendungen und Übungen in einem speziellen Fall durchgeführt werden sollen. Für jede der geplanten Maßnahmen werden Frequenz, Intensität und Dauer festgelegt. Dies hängt von zusätzlichen Erkrankungen der Tiere ab. Hundesenioren leiden häufiger an Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder endokrinologischen Erkrankungen. Hier ist es wieder die enge Zusammenarbteit zwischen Physiotherapeut und Tierarzt wichtig, denn durch die Physiotherapie kann eventuell eine Veränderung anderer Erkrankungen des Hundes herbeigeführt werden, was gegebenenfalls Veränderungen in der Medikation erfordert.
Schmerz
Der wichtigste Punkt bei der physiotherapeutischen Behandlung ist die Kontrolle von Schmerz, wobei meistens eine unterstützende medikamentelle Schmerztherapie benötigt wird. Eine wichtige physiotherapeutische Maßnahme für die Schmerztherapie stellt die Kältetherapie dar. Kälte führt zur direkten Schmerzlinderung durch Reduzierung der Nervenleitgeschwindigkeit, Verminderung eines vorhandenen Ödems, welches an sich schmerzhaft ist, und zur Verminderung katabolischer (abbauender) Enzyme im Gelenkknorpel. Kälte kann beim Aufflammen osteoarthrotischer Schmerzen, vor physiotherapeutischen Übungen und vor dem Schlafengehen angewendet werden.
Massage und Wärme
Als weitere Optionen zur Schmerzlinderung gelten Massagetechniken und Wärme. Die genauen Auswirkungen von Massagen sind bei Hunden bisher unbekannt. Gegebenenfalls lindern Massagen myofasziale (zwischen Faszie und Muskel) Schmerzen und reduzieren Muskelspannungen. Wärme wirkt schmerzlindernd bei osteoarthrotischen Patienten, wobei es 2 Formen der Anwendung gibt: Die leichte Erwärmung des Gewebes um 1 – 2 °Celsius und die Erwärmung des Gewebes um 3 – 4 °Celsius. Die geringere Erwärmung führt zur Stimulation von sensiblen Nervenfasern, die schmerzlindernd wirken und zur Gefäßerweiterung. Die Erwärmung des Gewebes auf höhere Temperaturen eignet sich besonders bei therapeutischen Übungen, bei denen Muskeln gedehnt werden, denn dadurch wird die Wirksamkeit der Dehnungen vergrößert und das Gewebe wird weniger geschädigt.
Wichtiges zur Kälte- und Wäremtherapie
Wichtig bei der Kälte- und Wärmetherapie ist, dass die Hunde die gesamte Zeit über beaufsichtigt werden sollten. Bei Anwendung von Kälte aufgrund von möglichem Unbehagen und bei Wärme wegen der Gefahr von Rötungen, Schwellungen oder Bläschenbildungen. Sowohl bei der Verwendung von Kühlelementen, als auch von Wärmeelementen sollte immer ein Tuch zwischen Fell und Element liegen. Die Anwendung sollte in beiden Fällen nicht länger als 10-15 Minuten dauern.
Beweglichkeit
Für die Verbesserung der Beweglichkeit osteoarthrotischer Gelenke ist die aktive und passive Bewegung der Gelenke zusammen mit Dehnübungen ein wichtiger Baustein der Physiotherapie. Bei aktiven Übungen bewegt sich der Patient, bei passiven Übungen wird das Gelenk vom Therapeuten bewegt.
Je nach Gelenk ist bei vorliegender Osteoarthrose typischerweise eher die Beugung oder die Streckung der Gelenke. Ein prophylaktischer Ansatz ist wichtig: Es ist leichter, einen bestimmten Grad der Beweglichkeit zu erhalten als eine Verbesserung der Beweglichkeit zu erreichen. Passive und aktive Übungen sollten daher in jedem physiotherapeutischen Plan bei Osteoarthrose-Patienten enthalten sein. Zu den positiven Effekten zählen die Verbesserung der Flexibilität und Dehnbarkeit der Muskulatur sowie die Verhinderung von Verklebungen von Geweben.
Bei den passiven Bewegungen sollte keine Muskelkontraktion aktiviert werden. Um eine verbesserte Bewegung eines Gelenks zu erreichen, sollte das Gelenk am Bewegungsendpunkt für einige Sekunden in dieser Position gehalten und diese Übung dann 2 – 4 × pro Tag mit 10 – 20 Wiederholungen durchgeführt werden.
Altersgerechte Wohnung
Für Hundesenioren können auch Modifikationen der Umwelt für mehr Beweglichkeit im eigenen Heim sorgen, denn manche Hunde benötigen im täglichen Leben Hilfen, um die Lebensqualität aufrecht zu erhalten. Tragehilfen, Rampen für das Auto, Orthesen oder Bandagen sind gute Optionen, dem Hund im Alter zu helfen. Ob Rollstuhl oder orthopädisches Bett, das Angebot wird hier immer größer!
Koordination
Bei diesem Training sollten zu Beginn nur leichte Koordinationsübungen mit Unterstützung durchgeführt werden, wie z. B. Gewichtsverlagerungen von Seite zu Seite oder von vorne nach hinten oder hinten nach vorne. Später können mehrere Wiederholungen durchgeführt und die Schwierigkeit gesteigert werden. Dies geschieht, indem man keine gleichmäßige, sondern eine arrhythmische Verlagerung des Gewichts verursacht, oder die Übungen während der Bewegung durchführt. Weitere Möglichkeiten, die Koordination und die Stammmuskulatur zu trainieren, sind Balance Boards, Wobble Boards, Luftmatratzen, unebener Boden, Physiobälle, Slalomparcours oder Cavalettistangen.
Muskelaufbau
Die einfachste therapeutische Übung ist der Spaziergang – zu Beginn 3 – 4 × täglich je 15 Minuten, danach kontinuierliche Steigerung um 5 Minuten pro Woche. Beim Spazierengehen sollte auch das Tempo abgewechselt werden, um verschiedene Anteile des Bewegungsapparats anzusprechen: Die Bewegung im Schritt führt zur aktiven Bewegung der Gelenke, im Trab wird eher die Schnellkraft der Muskulatur trainiert. Dieses Training kann je nach betroffenem Gelenk durch Bewegung in unterschiedlichem Gelände mit Steigungen oder Gefällen variiert und erschwert werden.
Unterwasserlaufband
Das Training mit Laufbändern oder Unterwasserlaufbändern bietet eine aktive Muskelkontraktion bei verminderter Gewichtsbelastung und gleichzeitiger Entlastung von Gelenken und Knochen. Hierbei gilt: Je höher der Wasserstand, umso mehr Gewicht wird von den Gelenken genommen. So vermindert ein Wasserstand bis zum Trochanter des Femurs das Gewicht um 62 %. Zusätzlich wirkt nicht nur der Auftrieb im Wasser positiv, sondern auch der hydrostatische Druck, der zur Ödemreduzierung und zur Schmerzlinderung führen kann. Als dritter Vorteil gilt der erhöhte Widerstand im Wasser, der zur Verbesserung der Ausdauer und zur Stärkung der Muskulatur führt.