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Klinik
Die Feline selbstinduzierte Alopezie (FBSA) gehört zu den katzenspezifischen Reaktionsmustern der Haut. Infolge verschiedenster Auslöser belecken sich die betroffenen Katzen übermäßig, weswegen dieses Erkrankungsbild auch als „Leckalopezie“ bezeichnet wird. Betroffen sind vor allem das ventrale Abdomen, Flanken und Rücken sowie die Gliedmaßen.
Prinzipiell können alle Körperregionen betroffen sein, an denen die Katze lecken kann. Der dadurch entstehende Haarverlust ist überwiegend bilateral symmetrisch. An die betroffenen Bereiche angrenzende Haare sind schwer epilierbar und können bereits abgebrochene Haarschäfte aufweisen [1]. Aufgrund der Traumatisierung der Haut und möglicherweise sekundären Hautinfektionen können weitere Läsionen wie Erythem, Papeln und Krusten vorhanden sein.
Ursachen
Die häufigste Ursache der selbstinduzierten Alopezie ist Juckreiz [2]. Es müssen daher alle juckreizauslösenden Erkrankungen als mögliche Grunderkrankung aufgearbeitet werden. Zu den häufigsten Ursachen für Juckreiz bei der Katze gehören neben parasitären Infektionen das Feline Atopische Haut Syndrom (Feline Atopic Skin Syndrome, FASS) die Futtermittelallergie der Katze (Feline Food Allergy, FFA) und die Flohspeichelallergie (Flea Allergy Dermatitis, FAD), [3]. Die wichtigsten Ursachen der Alopezie bei der Katze sind in der [Tab. 1] aufgeführt.
Art der Alopezie | Ursache | Grunderkrankung |
---|---|---|
Selbstinduzierte Alopezie | Juckreiz | Allergische Dermatitis, Parasiten, Infektionen |
Schmerzen | Abdominale Schmerzen, z.B. bei Zystitis, Bewegungsapparat | |
Psychogen | Stress, evtl. schmerzinduziert, Hyperaktivität infolge Hyperthyreose | |
Spontane Alopezie | Haarfollikelentzündung | Bakterielle Follikulitis, Dermatophytose, Demodikose, Pemphigus foliaceus, Sebadenitis, Alopecia areata, Murale Follikulitis |
Atrophie oder Degeneration des Haarfollikels, Haarzyklusstörung | Hyperadrenokortizismus (iatrogen/spontan), Paraneoplastische Alopezie, Reaktion auf Injektionen |
Die FBSA kann allein oder zusammen mit anderen katzenspezifischen Reaktionsmustern auftreten. Dazu gehören die miliare Dermatitis, der eosinophile Granulomkomplex oder auch der Hals-Kopf-Pruritus. Ursachen für Juckreiz bei jüngeren und mittelalten Katzen bis 10 Jahren sind vor allem Allergien und Parasitosen. Wird Juckreiz erstmalig bei älteren Tieren bemerkt, könnte auch eine Hyperthyreose die Ursache des vermehrten Putztriebes sein.
Orientalische Rassekatzen zeigen häufiger aufgrund psychogener Ursachen eine FBSA als andere Katzenrassen [4].
Allergien
Die Flohspeichelallergie (FAD) ist die am häufigsten vorkommende Allergie der Katze und betrifft 20 – 29% der Katzen mit einer allergischen Dermatitis. Boeta gibt an, dass 39% der Katzen mit einer FAD selbstinduzierte, bilateral symmetrische Alopezie zeigen. Es werden von den Patienten insbesondere der Rumpf, die Flanken und der Schwanz beleckt, aber auch das ventrale Abdomen [2].
Etwa die Hälfte (52%) aller Katzen mit einem Atopischen Haut Syndrom und 43% der Katzen mit einer Futtermittelallergie weisen eine FBSA auf. Katzen mit einem Atopischen Haut Syndrom belecken ihre Gliedmaßen häufiger als Katzen mit einer Futtermittelallergie [2].
Infektionen und Schmerzen
Auch Hautinfektionen und schmerzhafte Erkrankungen, v. a. Zystitiden oder auch Erkrankungen des Bewegungsapparates, können als Ursache einer FBSA vorliegen. Weniger häufig sind psychogene Faktoren (Stress) oder eine Hyperthyreose der Grund für das übermäßige Belecken.
In einigen Fällen kann die FBSA von einer Otitis externa, einer Pododermatitis, einer Konjunktivitis oder gastrointestinalen bzw. respiratorischen Symptomen begleitet werden [2], [5]. Dies kann auf eine allergische Juckreizursache hinweisen.
Aufarbeitung und Diagnostik
Differenzialdiagnosen zur selbstinduzierten Alopezie sind alle Erkrankungen, die zu einer spontanen Alopezie führen. Dazu gehören alle Erkrankungen, die eine Haarfollikelentzündung hervorrufen oder aufgrund von Atrophie und Degeneration des Haarfollikels oder infolge von Haarzyklusstörungen zu einer Alopezie führen [2].
Zur Aufarbeitung der FBSA gehören neben Signalement, Anamnese, klinischer und dermatologischer Untersuchung auch Laboruntersuchungen, wobei der Fokus auf eine tiefgreifende Anamnese gelegt wird.
Anamnese
Zunächst muss geklärt werden, ob die Katze Juckreiz zeigt oder nicht, denn das ist für viele Besitzer schwer einzuschätzen. Physiologisches Putzverhalten bedeutet, dass die Katze sich für ca. eine Stunde pro Tag am gesamten Körper beleckt [6]. Für den Besitzer hilfreich kann der Hinweis sein, dass Juckreiz bei der Katze nicht nur kratzen, sondern auch lecken oder auffällig vermehrtes Putzverhalten bedeutet.
Eine katzenspezifische Juckreizskala ist von Colombo et al. beschrieben worden und kann als ein gutes Hilfsmittel zur Bewertung der Juckreizstärke, auch während einer Therapie, herangezogen werden. Hierbei wird die Juckreizintensität von 0 – 10 eingeteilt, je nachdem wieviel die Katze sich beleckt [6].
Haarverlust selbstinduziert oder nicht?
Viele Katzen belecken sich unbeobachtet vom Besitzer, daher ist es sinnvoll, mittels Trichoskopie zu untersuchen, ob eine Alopezie selbstinduziert ist oder nicht. Wenn die Katze die Alopezie durch Belecken selbst herbeiführt, ist dies in der mikroskopischen Haaruntersuchung an den abgebrochenen Haarspitzen erkennbar. Auch Haare im Kot oder Erbrochenem können ein Hinweis auf FBSA sein.
Der Verlauf der Symptomatik, insbesondere eine mögliche Saisonalität, ist zu erfragen, denn wiederkehrende saisonale Symptome können auf ein Feline Atopic Skin Syndrome oder auf regional auftretende Herbstgrasmilben hinweisen. Katzen, die ausschließlich in der Wohnung leben, erkranken weniger häufig an Parasitosen als Katzen mit Freigang, zeigen dafür allerdings häufiger psychogenen Juckreiz.
Parasiten, Zoonosen und Erkrankungen
In der Anamnese sollte ebenfalls abgeklärt werden, ob auch Kontakttiere und Kontaktpersonen an Juckreiz oder Fell-/Hautveränderungen leiden. Parasitosen wie Cheyletiella, Demodex gatoi, Otodectes cynotis, Flöhe und Trombiculose sowie eine Dermatophytose können weitere Katzen, aber auch andere Haustiere, wie z. B. Hunde, betreffen. Ebenso können auch Kontaktpersonen Juckreiz oder Hauveränderungen aufweisen und hier kann es einen Zusammenhang zu Zoonosen, wie z. B. Dermatophytosen oder einigen Parasitosen, geben.
Bestehen weitere Symptome oder Erkrankungen, wie z. B. Hyperthyreose, Zystitiden oder schmerzhafte Zustände am Bewegungsapparat, können auch diese wertvolle Hinweise auf die Ursache des Fellverlustes bzw. des Juckreizes aufzeigen und müssen abgeklärt werden.
Fütterung, Vorbehandlung und Verhalten
Weitere Fragen zur Fütterung, bisherige Futterwechsel und das Vorliegen gastrointestinaler Symptome, sind wichtig für die Einschätzung einer eventuell zugrundeliegenden Futtermittelallergie und zur Erstellung eines Futterplanes für eine Eliminationsdiät.
Wenn die Katze bereits vorbehandelt wurde, kann dies die Ursache der FBSA eingrenzen. Ist der Juckreiz responsiv auf Glukokortikoide, so ist eine allergische Grunderkrankung wahrscheinlich. Dabei sollen Dauer der Applikation und Dosierung in die Bewertung mit einbezogen werden. Wurden die Katze und deren Kontakttiere bereits regelmäßig mit wirksamen Ektoparasitika behandelt, ist eine Parasitose als Ursache weniger wahrscheinlich.
Eine Verhaltensanamnese kann zusätzliche wichtige Informationen erbringen, um eine eventuell bestehende psychogene Ursache oder Beteiligung an der FBSA zu ermitteln.
Klinische Untersuchung
Mit dem Hintergrundwissen möglicher Ursachen für die FBSA soll bei der klinischen Untersuchung insbesondere auf Symptome einer Hyperthyreose (Tachykardie, Body Condition Score, Palpation der Schilddrüse etc.), einer Zystitis und auf Schmerzhaftigkeit des Bewegungsapparates Wert gelegt werden. Je nach Befund sind orthopädische oder internistische Untersuchungen indiziert, wobei bildgebende Verfahren zur Untersuchung des Bewegungsapparates bzw. eine Sonografie der Harnblase, eine Untersuchung von Zystozenteseurin sowie eine Blutuntersuchung einschließlich Schilddrüsenparameter notwendig sein können.
Dermatologische Untersuchung
Im dermatologischen Untersuchungsgang werden neben der behaarten Haut auch die Ballen, die Krallen, der Nasenspiegel und die mukokutanen Übergänge untersucht. Die dermatologischen Befunde bei einer FBSA sind eine bilateral symmetrische Alopezie mit oder ohne Hautläsionen, insbesondere am ventralen Abdomen, den Gliedmaßen, Rumpf und Flanken, wobei auf weitere kutane Reaktionsmuster zu achten ist ([Abb.1]. Weiterhin ist die Maulhöhle einzusehen, da hier Läsionen des Eosinophilen Granulom-Komplexes (EGK) am Gaumen und auf der Zunge auftreten können.
Zur vollständigen Untersuchung gehört auch unbedingt die Otoskopie, denn Katzen mit einem Felinen Atopischem Skin Syndrom können neben der FBSA auch Otitiden aufweisen. Ebenso sollte eine Infektion mit der Milbe Otodectes cynotis nicht übersehen werden.
Spezielle Diagnostik
Jede Katze mit Juckreiz sollte mit dem Flohkamm untersucht werden – er dient dem Auffinden von Flohkot, Flöhen und der großen Ektoparasiten wie z. B. Haarlingen. Die saisonal und regional unterschiedlich auftretenden Larven der Herbstgrasmilben sind ebenso überwiegend makroskopisch erkennbar. Ein negativer Befund schließt den Befall mit Ektoparasiten allerdings nicht aus, da die Katzen diese durch das intensive Belecken entfernt haben können.
Mittels Trichogramm sollte geklärt werden, ob die Alopezie durch Belecken des Fells entsteht. Hierbei sind abgebrochene Haarspitzen und Haarschäfte mikroskopisch erkennbar. Bei einer spontanen Alopezie sind die Haarspitzen hingegen intakt. Bei der FBSA sind zudem anagene und telogene Haarwurzeln erkennbar.
Verschiedene Milben, die zu Juckreiz und/oder Alopezie führen können, sind mittels Hautgeschabsel und Tesafilm-Abklatsch Präparat zu untersuchen. Dazu gehören Demodex gatoi [7], Cheyletiella, Otodectes cynotis und die Larven der Herbstgrasmilben.
Die zytologische Untersuchung eines Hautabklatsches bei einem Patienten mit FBSA zeigt ein physiologisches Bild. Bei Vorliegen von Effloreszenzen, wie zum Beispiel Pusteln, Krusten und Erosionen, dient die zytologische Untersuchung dem Nachweis von sekundären Infektionen [8].
Weitere Untersuchungen
Mit den bisher erläuterten Untersuchungsschritten sollte bereits geklärt werden können, ob es sich um eine FBSA handelt. Für eine endgültige Diagnose hat sich folgende weitere Aufarbeitung bewährt:
- Wenn eine Parasitose als Ursache des Juckreizes und damit der FBSA diagnostiziert werden konnte, ist diese mit entsprechenden Ektoparasitika zu behandeln. Ist keine Parasitose nachgewiesen worden, empfiehlt sich eine diagnostische antiparasitäre Therapie, wobei Kontakttiere bei der Behandlung eingeschlossen werden müssen [9].
- Mittels Blut- und Urinuntersuchung bzw. Sonografie der Harnblase müssen eine Hyperthyreose bzw. Zystitis als Ursache der FBSA abgeklärt und bei entsprechendem Befund behandelt werden. Andere schmerzhafte Erkrankungen müssen ebenso erkannt und folgerichtig therapiert werden.
- Konnte mit diesen Schritten keine Grundursache der FBSA festgestellt werden und erfolgte keine Reduktion des Juckreizes nach antiparasitärer Therapie, ist eine Allergieaufarbeitung indiziert. Bei asaisonalem Verlauf muss zunächst eine Eliminationsdiät mit anschließender Provokationsfütterung durchgeführt werden [10].
- Wenn keine Futtermittelallergie vorliegt oder eine saisonale Symptomatik vorhanden ist, kann die Verdachtsdiagnose Feline Atopic Skin Syndrom (FASS) gestellt werden. Hinweisend auf eine allergische Ursache der FBSA sind zum einen das Vorhandensein weiterer Reaktionsmuster der Haut und/oder das Ansprechen auf Glukokortikoide [1].
- Sollte auch die Allergieaufarbeitung keinen Erfolg bringen und ist die Symptomatik nicht responsiv auf Glukokortikoide, kann als Ausschlussdiagnose der Verdacht auf eine psychogene Leckalopezie gestellt werden. Bei diesen Patienten sollten nach ausführlicher Verhaltensanamnese mögliche Stressoren erkannt und anschließend reduziert werden [4]. Bei einigen Patienten kann der Einsatz von Psychopharmaka zusätzlich notwendig sein. Diese Maßnahmen können helfen, die psychogen bedingte FBSA zu reduzieren [11].
Fazit
Die Aufarbeitung von Juckreiz als Hauptsymptom einer Erkrankung ist nicht einfach, insbesondere bei der Katze, deren Symptome nicht immer so klar sind, wie man sich das wünscht. Die Schlüssel zum Erfolg sind hier eine tiefgreifende Anamnese mit intensiver Besitzerbefragung und eine umfassende Diagnostik, die nicht nur die Haut umfasst. Dann kann meist eine Diagnose gestellt und dem Patienten gezielt und nachhaltig geholfen werden, sodass Tier und Besitzer zufrieden sind.
Der Originalbeitrag zum Nachlesen:
Schmohl,S. "Feline bilateral-symmetrische selbstinduzierte Alopezie – Schritt für Schritt zur Diagnose". veterinär spiegel 2022; 32(04): 166-170 DOI: 10.1055/a-1948-6411
(JD)
- Favrot C. Feline non-flea induced hypersenitivity dermatitis: clinical features, diagnosis and treatment. J Feline Med Surg 2013; 15: 778-784
- Boeta AMR. Diagnosis of alopecia in dogs and cats. Zaragoza: Servet; 2016
- Halliwell R, Pucheu-Haston CM, Olivry T. et al. Feline allergic diseases: introduction and proposed nomenclature. Vet Dermatol 2021; 32: 8-e2
- Amat M, Camps T, Manteca X. Stress in owned cats: behavioural changes and welfare implications. J Feline Med Surg 2016; 18 (08) 577-586
- Santoro D, Pucheu-Haston CM, Prost C. et al. Clinical signs and diagnosis of feline atopic syndrome: detailed guidelines for a correct diagnosis. Vet Dermatol 2021; 32: 26-e6
- Colombo S, Sartori R, Schievano C. et al. Development and validation of an owner-assessed Visual Analog Scale for feline pruritus severity scoring (VAScat). Vet Dermatol 2022; 33: 407-413
- Beale K. Feline demodicosis: a consideration in the itchy or overgrooming cat. J Feline Med Surg 2012; 14 (03) 209-213
- Colombo S. Alopecia. In: Noli C, Colombo S (Hrsg.) Feline Dermatology. Cham: Springer; 2020: 95-107
- Reinbacher E, Panakova L. Feline bilateral-symmetrische selbstinduzierte Alopezie – Ein praktischer Leitfaden. Veterinärspiegel 2015; 1: 3-8
- Koch NK. Diagnostic approach to pruritus in cats. th World congress of Veterinary Dermatology 2016.
- Sawyer LS, Moon-Fanelli AA, Dodman NH. Psychogenic alopecia in cats: 11 cases (1993–1996). J Am Vet Med Assoc 1999; 214 (01) 71-74