Inhalt
Vitamin B12 (Cobalamin) ist ein wasserlösliches B-Vitamin, das über spezifische Rezeptoren im distalen Dünndarm absorbiert wird [1], [2]. In der Kleintiergastroenterologie erfährt dieses Vitamin sowohl diagnostisch als auch therapeutisch große Beachtung. Vielfältige Ursachen können zu Veränderungen im Serum-Cobalaminstatus bei Kleintierpatienten führen [2], die im Folgenden näher beleuchtet werden.
Einleitung
Cobalamin wird hauptsächlich durch Lebensmittel tierischen Ursprungs (z. B. Fleisch, Eier, Milchprodukte, manche Fischarten) in den Körper aufgenommen. In kleineren Mengen kann Vitamin B12 auch von der Darmmikrobiota bereitgestellt werden [2], kommt dem Körper aufgrund des distalen Produktionsorts im Kolon jedoch kaum zugute. Cobalamin kann über mehrere Monate im Körper gespeichert werden, insbesondere in der Leber [2].
Nach initialem Aufschluss im Magen gelangt Cobalamin mit dem Nahrungsbrei weiter bis zum distalen Dünndarm und wird mithilfe des Intrinsic-Faktors (IF) rezeptorvermittelt im Ileum absorbiert [1]. Nicht an IF gebundenes Cobalamin wird hingegen kaum bis gar nicht in den Körper aufgenommen [3]. IF wird bei der Katze ausschließlich und beim Hund nahezu ausschließlich (ca. 90%) durch das exokrine Pankreas produziert; dies im Gegensatz zum Menschen, bei dem der IF hauptsächlich in der Magenschleimhaut produziert wird [4]. Aus den Darmepithelzellen des Ileums gelangt Cobalamin dann, gebunden an Transportproteine (z. B. Transcobalamin I und II), in den Blutkreislauf und schließlich zum Zielgewebe [Abb. 1] [4].
Aufgaben von Cobalamin im Körper
Cobalamin spielt eine wichtige Rolle bei einer Reihe physiologischer Prozesse im Körper. So wird es essenziell im Rahmen der Zellteilung und Differenzierung benötigt, beispielsweise bei der Bildung und Reifung der Erythrozyten, der Epithelregeneration oder dem Aufbau neuronaler Strukturen [2], [5]. Vitamin B12 spielt eine wesentliche Rolle als Co-Faktor der Methylmalonyl-Coenzym-A-Mutase, die für die Umwandlung von Propionat zu Succinat – ein Schlüsselenzym im Zitratzyklus – notwendig ist, und der für den Methionin-Stoffwechsel essenziellen Methionin-Synthase (5-Methyltetrahydrofolat-Homocystein-Methyltransferase) [1], [2].
Eine verminderte Aktivität dieser Enzyme durch reduzierte intrazelluläre Cobalamin-Verfügbarkeit als Co-Faktor führt zur Akkumulation von Methylmalonsäure (Methylmalonic Acid, MMA), das dann in erhöhten Mengen im Serum und/oder Harn vorliegen kann [1].
Labordiagnostische Tests zur Beurteilung des Cobalaminstatus
In der Kleintiermedizin wird eine Vitamin-B12-Mangelsituation derzeit anhand der routinemäßigen Cobalamin-Bestimmung im Serum abgeschätzt. Mehrere kommerzielle Tests stehen dem Kliniker hierfür zur Verfügung. Ein automatisierter Chemilumineszenz-Test kommt routinemäßig in Europa und Nordamerika zum Einsatz [2]. Die Referenzintervalle für die Serum-Cobalaminkonzentrationen bei Hunden und Katzen, die von den verschiedenen veterinärdiagnostischen Laboren verwendet werden [Tab. 1], sind untereinander vergleichbar [2].
Labor | Referenzintervalle | untere Nachweisgrenze |
---|---|---|
IDEXX |
| 33 pmol/l (45 ng/l) |
Laboklin |
| 50 pmol/l (68 ng/l) |
Synlab |
| 111 pmol/l (150 ng/l) |
In der Humanmedizin wird zudem die Bestimmung von MMA und Homocystein (HCY) im Serum und/oder Harn für die Beurteilung der intrazellulären Verfügbarkeit von Cobalamin herangezogen. Durch einen Anstieg dieser Metaboliten kann eine Cobalamin-Mangelsituation bereits in einem frühen Stadium ausgemacht werden. Derzeit sind diese Bestimmungen in der veterinärmedizinischen Routinediagnostik jedoch (noch) nicht verfügbar.
Klassifikation des Serum-Cobalaminstatus
Bei der Beurteilung des Serum-Cobalaminstatus wird wie folgt unterschieden [Tab. 1]:
- Normocobalaminämie: Serum-Cobalaminkonzentration innerhalb des Referenzintervalls
- Hypocobalaminämie: Serum-Cobalaminkonzentration unterhalb des Referenzintervalls
- Hypercobalaminämie: Serum-Cobalaminkonzentration über dem Referenzbereich
Als Cobalaminmangel bzw. -defizienz wird eine im Serum nicht messbar niedrige Cobalaminkonzentration in Zusammenhang mit einer erhöhten MMA-Konzentration bezeichnet [2]. Ein hypocobalaminämischer Status erfordert eine Supplementation von Cobalamin [Tab. 2]. Die Ursachen hierfür sind vielfältig.
Interpretation | Serum-Cobalaminkonzentration | Substitutionstherapie |
---|---|---|
Hypercobalaminämie | oberhalb des Referenzintervalls | - |
Normocobalaminämie | innerhalb des Referenzintervalls | - |
suboptimaler Cobalaminstatus | im unteren Bereich des Referenzintervalls | empfohlen |
Hypocobalaminämie | unterhalb des Referenzintervalls | empfohlen |
Cobalaminmangel (-defizienz) | nicht messbar niedrig | empfohlen |
Normocobalaminämie
Bei einer Normocobalaminämie liegt der Serum-Cobalaminspiegel innerhalb des entsprechenden Referenzintervalls [Tab. 1]. Eine normale Cobalaminkonzentration im Serum schließt jedoch beispielsweise eine chronische gastrointestinale Erkrankung nicht aus, da der Körper eine relativ große Reservekapazität für die Speicherung von Vitamin B12 hat. So ist es möglich, dass dieser Speicher zum Zeitpunkt der Messung z. B. bei einem Patienten mit chronischer Darmerkrankung und Serum-Cobalaminkonzentration im Referenzintervall noch nicht erschöpft ist.
Zudem spiegelt die Serum-Cobalaminkonzentration nicht unbedingt den Cobalaminstatus auf zellulärer Ebene wider. Ist die Cobalaminaufnahme in die Körperzelle beeinträchtigt, können auch normocobalaminämische Patienten von einer Unterversorgung der Zellen betroffen sein [3].
Hypocobalaminämie/Cobalaminmangel
Bei hypocobalaminämischen Patienten liegt der Cobalaminspiegel im Blut unterhalb des Referenzintervalls. Bei einem Cobalaminmangel findet sich die Cobalaminkonzentration im Serum unterhalb der Nachweisgrenze des Assays und ist daher nicht bestimmbar [Tab. 1], [Tab. 2] [2]. In der Humanmedizin wird unter Cobalamindefizienz eine nicht messbare Cobalaminkonzentration bei gleichzeitig erhöhter MMA-Konzentration im Serum verstanden. Der Begriff Cobalamindefizienz ist in der Veterinärliteratur dagegen nicht eindeutig definiert.
Hypercobalaminämie
Bei einer Hypercobalaminämie liegt die Serum-Cobalaminkonzentration oberhalb des Referenzintervalls [Tab. 1]. Ein solcher Befund wurde in der Vergangenheit hauptsächlich Nahrungsergänzungsmitteln bzw. anderen Ernährungsfaktoren zugeschrieben und als klinisch unbedeutsam angesehen. Erst kürzlich wurde erkannt, dass eine Hypercobalaminämie ohne vorberichtliche Substitutionstherapie bei Katzen mit Hepatopathien oder Neoplasien vorkommen kann und auch beim Hund nicht zwangsläufig ignoriert werden sollte [6], [7]. Fast die Hälfte der hypercobalaminämischen Hunde hatte eine entzündliche Erkrankung (Hepatopathien, Enteropathie oder Pankreatitis) oder Futtermittelunverträglichkeit [7]. Diese Erkenntnisse stimmen mit humanmedizinischen Studien überein, die eine Hypercobalaminämie mit neoplastischen, Leber- und Nierenerkrankungen in Verbindung sehen [7].
Mögliche Ursachen einer Hypocobalaminämie
Einem erniedrigten Cobalaminspiegel im Blut können mehrere Ursachen zugrunde liegen. Am häufigsten sind:
- gastrointestinale Erkrankungen, z. B. chronisch-entzündliche Darmerkrankung (inflammatory bowel disease, IBD), intestinales Lymphosarkom, intestinale Dysbiose (z. B. sekundär infolge entzündlicher Erkrankungen oder auch extragastrointestinaler Erkrankungen)
- exokrine Pankreasinsuffizienz (EPI)
Andere Ursachen, wie ein diätetisch bedingter Cobalaminmangel, eine verminderte Kapazität für die intestinale Absorption von Cobalamin mit Rasseprädispositionen oder eine transiente Hypocobalaminämie bei unbehandelter feliner Hyperthyreose sind beschrieben.
Gastrointestinale Erkrankungen
Chronisch-entzündliche Enteropathien
Chronisch-entzündliche Enteropathien (chronic inflammatory enteropathies, CIE) sind eine wichtige Gruppe von Magen-Darm-Erkrankungen bei Hunden und Katzen, deren Diagnose das Vorhandensein chronischer gastrointestinaler Symptome wie Durchfall, Erbrechen oder Gewichtsverlust (bestehend seit ≥ 3 Wochen), histopathologische Hinweise auf eine Entzündung der Darmschleimhaut und den Ausschluss anderer zugrunde liegender Ursachen erfordert [8], [9].
CIE werden – basierend auf dem Ansprechen auf die Behandlung – in folgende Gruppen unterteilt:
- Futter-responsive Enteropathie (FRE): Die klinischen Symptome bessern sich signifikant nach einer Eliminationsdiät oder klingen ab
- Steroid- bzw. Immunsuppressiva-responsive (oder -refraktäre) Enteropathie (SRE/IRE, auch als idiopathische IBD bezeichnet): Die Behandlung mit einem Kortikosteroid (z. B. Prednisolon oder Budesonid) bzw. anderen Immunsuppressiva (z. B. Cyclosporin, Chlorambucil oder Azathioprin) ist erforderlich [8], [9]
- Antibiotika-responsive Enteropathie (ARE): Diese 3. Gruppe wird zunehmend kritisch diskutiert
Die Proteinverlust-Enteropathie (protein losing enteropathy, PLE) ist eine Sonderform der chronischen Enteropathie bei Hunden. Dieser Zustand kann sekundär zu einem infiltrativen Darmerkrankungsprozess auftreten (z. B. lymphoplasmazelluläre Enteritis bei SRE/IRE, diffuse Darmwandneoplasie wie Lymphosarkom) oder auf eine primäre intestinale Lymphangiektasie zurückzuführen sein (Rasseprädisposition bei Yorkshire Terriern, Rottweilern, Maltesern, Basenjis und Irish Soft Coated Wheaton Terriern).
Eine Hypocobalaminämie oder Cobalamindefizienz kann auf eine chronische Enteropathie hindeuten [2], [10]. Die Konzentration von Cobalamin im Serum lässt jedoch keine Rückschlüsse auf die Art der chronischen Enteropathie (z. B. CIE resp. intestinales Lymphosarkom), Ausmaß und Schweregrad der Erkrankung oder den primär betroffenen Darmabschnitt zu [2]. Zwischen 19 und 54% aller Hunde mit CIE entwickeln eine Hypocobalaminämie, bei den Hunden mit einer PLE sind es 22 – 75% [11]. Bei Hunden mit CIE ist eine Hypocobalaminämie mit einer erhöhten Anzahl intraepithelialer Lymphozyten im Ileum verbunden, was ein Zusammenspiel mit entzündlichen Veränderungen der Ileumschleimhaut andeutet [2]. Etwa 60% aller Katzen mit chronischen gastrointestinalen Erkrankungen sind von einer Hypocobalaminämie betroffen [12]. Wichtig ist, dass eine Normocobalaminämie eine chronische Enteropathie nicht ausschließt.
Die Cobalaminkonzentration im Serum sollte bei Verdacht auf eine chronische Enteropathie bestimmt werden und, wenn erniedrigt bzw. suboptimal (d. h. im unteren Referenzintervall, < 350 – 400 ng/l), frühzeitig eine Substitutionstherapie mit Cobalamin begonnen werden.
Merke
Hunde und Katzen mit einem suboptimalen Serum-Cobalaminstatus können ungenügend auf die Behandlung des primären Krankheitsprozesses ansprechen, wenn nicht zusätzlich Cobalamin verabreicht wird.
Das B-Vitamin ist für viele Zellfunktionen und die Schleimhautregeneration essenziell und ein fortbestehender Mangel kann zur Entzündung der Schleimhaut und Zottenatrophie beitragen [2].
Exokrine Pankreasinsuffizienz (EPI)
Die EPI ist durch eine unzureichende Produktion und Freisetzung von Verdauungsenzymen durch die pankreatischen Azinuszellen gekennzeichnet und führt zu Maldigestions-/Malabsorptionssymptomen (z. B. Gewichtsverlust trotz Polyphagie, erhöhtes Kotvolumen) [13]. Eine Hypocobalaminämie ist bei Patienten mit EPI ein sehr häufiger Befund. Bis zu 82% der betroffenen Hunde weisen einen reduzierten Cobalaminspiegel im Blut auf [13]. Rassen wie der Deutsche Schäferhund, Cavalier King Charles Spaniel und Chow Chow zeigen eine Rasseprädisposition für EPI [2], [13].
Katzen mit EPI zeigen zu nahezu 80% eine Hypocobalaminämie [14]. Bei der Katze ist die EPI oft durch ein milderes bzw. weniger spezifischeres klinisches Bild geprägt als beim Hund und das durchschnittliche Alter betroffener Tiere ist höher (7,7 Jahre) [14]. Daher sollte bei Katzen mit unerklärlichem Gewichtsverlust und auch Anorexie statt Polyphagie (d. h. klinische Symptome, die bei Hunden nicht streng als klassisch für eine EPI gelten) differenzialdiagnostisch eine EPI in Betracht gezogen werden. Ähnlich wie beim Hund sprechen die meisten Katzen gut auf eine Behandlung der EPI an [14].
Bei Patienten mit EPI können der Hypocobalaminämie verschiedene Mechanismen zugrunde liegen [2]:
- Versiegen bzw. Reduktion der IF-Sekretion durch das exokrine Pankreas
- verminderte Bereitstellung bzw. Aktivierung von Verdauungsenzymen mit in der Folge verminderter Bindung von Cobalamin an IF
- vermehrter Verbrauch bzw. reduzierte Produktion von Cobalamin durch die Darmmikrobiota infolge sekundärer intestinaler Dysbiose
- Beeinträchtigung der Darmschleimhautfunktion durch toxische Metaboliten, resultierend aus der intestinalen Dysbiose
Da das exokrine Pankreas der einzige Ort bei der Katze und der Hauptort bei Hunden für die IF-Synthese darstellt, verlangt die Behandlung der EPI bei Hund und Katze auch die Substitution von Cobalamin [14].
Intestinales Lymphosarkom (malignes Lymphom)
Eine verminderte Cobalaminkonzentration im Serum ist generell ein negativer prognostischer Faktor bei Patienten mit malignem Lymphom [15]. Hunde mit einem kleinzelligen (lymphozytären, low-grade) intestinalen Lymphosarkom zeigen zu 40 – 70% eine Hypocobalaminämie [16], [17], bei der Katze sind es ca. 80% [18], [19], [20]. Angenommen wird bei diesen Patienten eine Störung der rezeptorvermittelten Cobalaminaufnahme durch die neoplastische Infiltration der Darmwand (insbesondere des Ileums) [15].
Intestinale Dysbiose
Die Dysbiose des Darms definiert sich als eine veränderte Komposition, Diversität bzw. beides der Darmmikrobiota [21]. Bacteroides spp. sind die Hauptkonkurrenten um Cobalamin mit dem Wirtorganismus aufgrund ihrer Fähigkeit, auf Cobalamin-IF-Komplexe zurückzugreifen. Im Gegensatz dazu können andere Bakterien nur freies Cobalamin binden [2].
Finden sich diese auch Folsäure-produzierenden Bakterien vermehrt im proximalen Darm, kann eine größere Menge an Folsäure bakteriellen Ursprungs vom Wirt aufgenommen werden und zu erhöhten Serum-Folsäurekonzentrationen führen. Daher kann eine Hypocobalaminämie bei gleichzeitiger Hyperfolatämie auf das Vorliegen einer intestinalen Dysbiose deuten [2].
Der Nachweis einer intestinalen Dysbiose kann jedoch herausfordernd sein und die Konstellation „Hypocobalaminämie bei gleichzeitiger Hyperfolatämie“ ist keineswegs eine Rechtfertigung für die Gabe von Antibiotika [2].
Folsäurekonzentration im Serum
- Referenzintervall Hund: 7,7 – 24,4 µg/l
- Referenzintervall Katze: 9,7 – 21,6 µg/l
- bei Hypocobalaminämie infolge chronischer Enteropathie oft gleichzeitig niedriger Folsäurespiegel
- bei Hypocobalaminämie infolge intestinaler Dysbiose oft gleichzeitig hohe (obere Grenze des Referenzintervalls) bzw. erhöhte Folsäurespiegel
Erbliche Erkrankungen und Rassenprädispositionen
Eine primäre (angeborene) Fehlfunktion des Cobalaminrezeptors (z. B. infolge einer Mutation) als Ursache für einen Cobalaminmangel (erniedrigte Serum-Cobalaminspiegel) ist für den Riesenschnauzer beschrieben [17]. Zudem gibt es Hinweise auf einen erblichen Cobalaminmangel infolge angeborener Mutation im Bereich des Cobalaminrezeptors bei anderen Hunderassen wie Australian Shepherds, Border Collies, Chinesischen Shar-Peis, Beagles und Yorkshire Terriern [2]. Bei einigen dieser Hunderassen wurde der genauen Ursache für diese Prädisposition nicht weiter nachgegangen, bei anderen Rassen hingegen eine genetische Grundlage des Cobalaminmangels bestätigt [2].
Selektive Cobalaminmalabsorption
Die selektive Cobalaminmalabsorption ist eine seltene erbliche Ursache der Hypocobalaminämie. Erstmals im Jahr 1989 gab es einen ersten Bericht über 2 betroffene Riesenschnauzer, bei denen die fehlende Expression des Cobalamin-IF-Rezeptors im apikalen Bereich des Ileum- und Nierenepithels die Aufnahme von Cobalamin verhinderte. Diese genetische Störung ist in der Humanmedizin als Imerslund-Gräsbeck-Syndrom (IGS) bekannt [2], [22] und kennzeichnet sich durch intermittierenden Durchfall, Inappetenz, körperliche Unterentwicklung und schlechte Körperkondition [2].
Genetische Ursachen der selektiven Cobalaminmalabsorption
Der Cubam-Rezeptor ist für die Aufnahme des IF-Cobalamin-Komplexes verantwortlich und findet sich am Bürstensaum des distalen Dünndarms (Ileum) sowie der Nierentubulusepithelzellen [2]. Der Cubam-Rezeptorkomplex besteht aus 2 Untereinheiten, den Proteinen Amnionless (AMN) und Cubilin (CUBN), deren Expression und Funktion jeweils von der Struktur und Funktion der anderen Untereinheit des Rezeptors abhängig sind.
Einem Imerslund-Gräsbeck-Syndrom können beim Menschen verschiedene (insgesamt ca. 400) AMN- und CUBN-Mutationen zugrunde liegen. Beim Hund sind bislang 6 dieser Mutationen (2 AMN-Mutationen und 4 CUBN-Mutationen) bekannt [2]. Die Expression von Cubam ist durch 2 unabhängige Mutationen im AMN-Gen bei Australischen Schäferhunden und Riesenschnauzern gestört. Eine CUBN-Mutation verursacht ein Imerslund-Gräsbeck-Syndrom bei Border Collies. Außerdem ist eine CUBN-Mutation auch für das Imerslund-Gräsbeck-Syndrom bei Beaglen verantwortlich. Genetische Tests sind kommerziell verfügbar und ermöglichen eine Diagnose bereits vor klinischer Manifestation der Erkrankung sowie den Nachweis asymptomatischer Träger, um Zuchtentscheidungen treffen zu können [2].
Beim chinesischen Shar-Pei zeigte sich in einer breit angelegten genomischen Studie ein Zusammenhang zwischen dem Cobalaminmangel bei dieser Rasse und 2 Hunde-spezifischen Mikrosatellitenmarkern auf Chromosom 13 [23]. Allerdings konnte bislang kein Gen in dieser chromosomalen Region gefunden werden, das den Cobalaminmangel bedingt [23].
Diätetische Ursachen
Cobalamin ist an Nahrungsproteine gebunden und wird im proximalen Magen-Darm-Trakt durch Proteasen des Magens und Pankreas aufgeschlossen, um dann im distalen Dünndarm absorbiert werden zu können [2]. Hunde und Katzen sind, im Gegensatz zu Wiederkäuern und anderen Pflanzenfressern, nicht in der Lage, Cobalamin in bedarfsdeckender Menge über die Darmmikrobiota zu synthetisieren. Das Vitamin muss daher bei Hunden und Katzen entweder mit der Nahrung aufgenommen oder ergänzt werden [2]. Kommerzielle Futter sowohl für Hunde als auch für Katzen enthalten ausnahmslos eine genügende Menge an Vitamin B12, sodass eine Cobalaminmangelsituation eher bei Tieren mit speziellen Ernährungsformen (z. B. vegetarische oder vegane Nahrung ohne Vitamin-B12-Zusatz) vorkommt.
Hyperthyreose
Die Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose) ist die häufigste endokrinologische Erkrankung bei älteren Katzen. Diese kann mit niedrigen Cobalaminkonzentrationen im Serum einhergehen (Prävalenz ca. 40%) [24]. Allerdings handelt es sich bei hypocobalaminämischen Katzen mit unbehandelter Hyperthyreose, sofern nicht gleichzeitig eine chronische gastrointestinale Erkrankung oder EPI vorliegt, nicht um einen funktionellen Cobalaminmangel (d. h. auf zellulärer Ebene) und verlangt daher nicht zwangsläufig eine Supplementation [24]. Anzuraten ist, die Serum-Cobalaminkonzentration nach Beginn der Hyperthyreose-Therapie zu kontrollieren. Bleibt eine Besserung (Normalisierung) des Wertes aus, sollte die Katze auf das mögliche Vorliegen einer weiteren Grunderkrankung (z. B. CIE, EPI) untersucht werden.
Klinische Symptome und blutchemische Veränderungen bei einer Hypocobalaminämie
Klinische Symptome wie Durchfall, Erbrechen, Inappetenz und Gewichtsverlust sind bei hypocobalaminämischen Patienten sehr häufig, aber auch neurologische Symptome (z. B. Ataxie, Schwäche) können auftreten. Da Cobalamin eine wichtige Rolle bei der Epithelregeneration zukommt, kann eine Mangelsituation zu einer verminderten Regeneration des Darmepithels beitragen.
Während der Wachstumsphase wird Cobalamin vom Körper in hohen Mengen benötigt. Daher kann ein Cobalaminmangel bzw. eine suboptimale Cobalaminversorgung auch Ursache für Wachstumsstörungen oder -verzögerungen sein [2]. Besonders in diesem Zeitfenster kann ein Cobalaminmangel sekundäre Veränderungen blutchemischer Parameter wie Hypoglykämie, Ketoazidose und Hyperammoniämie nach sich ziehen. Differenzialdiagnostisch können diese somit den Verdacht auf einen portosystemischen Shunt, eine Niereninsuffizienz oder komplexe Stoffwechselstörungen lenken [2].
Beim Menschen geht die Hypocobalaminämie häufig mit einer nicht-regenerativen Anämie und Megaloblasten (auch als perniziöse Anämie bezeichnet) sowie einer Neutropenie mit hypersegmentierten Neutrophilen einher [2], was bei Hund und Katze allerdings einen seltenen Befund darstellt.
Indikation für die Substitution von Cobalamin
Hypocobalaminämie (Serum-Cobalaminkonzentration < 200 ng/l) bzw. ein suboptimaler Cobalaminstatus ist bei Hunden mit chronischer Enteropathie mit einer ungünstigeren Prognose verbunden [25]. Daher wird empfohlen, betroffene Hunde ab einer Cobalaminkonzentration von < 350 – 400 ng/l im Serum einer angemessenen Substitutionstherapie zu unterziehen.
Auch bei hypocobalaminämischen Katzen mit chronischer Magen-Darm-Erkrankung ist die Substitution von Cobalamin für den Behandlungserfolg entscheidend [2]. Neben dem Beitrag zur raschen Normalisierung der biochemischen Befunde trägt die Substitution mit Cobalamin (Datenlage bislang auf parenterale Substitutionstherapie beschränkt) bei betroffenen Katzen zur Verbesserung der klinischen Symptome (z. B. Erbrechen, Durchfall) und des Körpergewichts bei [26]. Häufig berichten Besitzer über ein besseres Allgemeinbefinden und gesteigerten Appetit nach der Gabe von Cobalamin.
Behandlungsoptionen bei suboptimalem Cobalaminstatus
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Cyanocobalamin zur Vitamin-B12-Substitution
Empfehlung, wenn Serum-Cobalaminkonzentration < 350 – 400 ng/l
Vitamin-B-Komplex-Präparate für die parenterale Substitution vermeiden und Cyanocobalamin-Monopräparate verwenden
Cyanocobalamin-Präparate für die orale Substitution auch in Kombination mit Folsäure
Hydroxycobalamin für die Vitamin-B12-Substitution
- Empfehlung wenn Serum-Cobalaminkonzentration < 350 – 400 ng/l
- Verwendung besonders wenn Cyanocobalamin-Präparate nicht wirksam
Fazit für die Praxis
- Die Ursachen einer Hypocobalaminämie bzw. eines suboptimalen Cobalaminstatus bei Hund und Katze sind vielfältig, am häufigsten sind es chronische Enteropathien und eine exokrine Pankreasinsuffizienz.
- Routinemäßig ist die Beurteilung des Cobalaminstatus bei Kleintierpatienten bislang nur anhand der Cobalaminbestimmung im Serum möglich, deren Aussage über den zellulären Cobalaminstatus (im Vergleich zur MMA- bzw. HCY-Messung) begrenzt ist.
- Weder eine normale Serum-Cobalaminkonzentration noch eine Hypercobalaminämie schließen das Vorliegen einer klinisch relevanten Erkrankung (z. B. chronische Enteropathie) aus.
- Eine Hypercobalaminämie (ohne vorberichtliche Substitutionstherapie) ist nicht unkritisch als benigner Befund hinzunehmen und sollte – je nach weiteren Befunden – Anlass zu weiterer Diagnostik geben.
- Eine Hypocobalaminämie bzw. ein suboptimaler Cobalaminstatus sollte zur Substitution von Cobalamin (Cyanocobalamin s. c. oder p. o., alternativ Hydroxocobalamin p. o. oder i. m.) mit anschließender Kontrolle zur Einschätzung des Therapieerfolgs veranlassen.
Der Originalbeitrag zum Nachlesen:
Cabrera-García, A.I. , Kather, S. , Heilmann, R.M. Cobalamin (Vitamin B12) – Diagnostische und therapeutische Bedeutung in der Kleintiergastroenterologie. kleintier konkret 2022; 25(01): 39-47 DOI: 10.1055/a-1737-9126
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