Orientierungslosigkeit, veränderte Fressgewohnheiten, ungezieltes Jaulen – all diese Symptome können hinweisend für eine neurologische Erkrankung sein. Differenzialdiagnostisch sollte, gerade bei geriatrischen Patienten, eine kognitive Dysfunktion in Betracht gezogen werden. Bei rechtzeitiger Diagnose kann der Verlauf maßgeblich beeinflusst werden.
Hintergrund
Mit steigendem Alter kommt es im Gehirn von Hunden und Katzen natürlicherweise zu degenerativen Prozessen. Dazu gehört eine zerebrale Atrophie, die zu einer Vergrößerung der Ventrikel, Verbreiterung der Sulci und Atrophie des cholinergen Systems im Locus ceruleus führt. Auf zellulärer Ebene finden sich in dem veränderten Bereich häufig abnorme Mitochondrien, große Vakuolen und eine Anhäufung von Lipofuszin sowie weniger Mikrofilamente an den Dendriten.
Eine kognitive Dysfunktion (Cognitive Dysfunction Syndrome, CDS) ist von diesen physiologischen Alterserscheinungen deutlich abzugrenzen. Bei Hunden werden, ähnlich wie bei Menschen, Aß-Plaques für die demenz-ähnlichen Symptome verantwortlich gemacht. Bei Katzen wird ebenfalls eine Beteiligung dieser Proteinstrukturen diskutiert, allerdings konnten diese auch bei Katzen ohne CDS nachgewiesen werden.
Prävalenz
Die kanine CDS entwickelt sich rasse- und größenabhängig unterschiedlich. Bei großen Hunden können Symptome bereits ab dem 5. Lebensjahr auftreten, wohingegen kleine Hunde doppelt so alt werden können, bevor sich erste Symptome einer CDS zeigen. Die feline CDS tritt bei 50% aller Katzen über 15 Jahre auf.
Patienten werden nur sehr selten aufgrund einer CDS in der Klinik vorstellig. Ungewöhnliches Verhalten wird häufig auf das Alter der Tiere geschoben.
Klinisches Erscheinungsbild
- Desorientierung
- Veränderungen in sozialen Interaktionen
- veränderter Schlaf-Wach-Rhythmus
- veränderte Ausscheidungsgewohnheiten und Aktivität
- zunehmende Ängstlichkeit
- Lern- und Gedächtnisdefizite
Diagnostik
Die kanine kognitive Dysfunktion ist eine Ausschlussdiagnose und kann somit erst nach Ausschluss möglicher anderer organischer Erkrankungen gestellt werden!
Eine Möglichkeit zur Evaluierung der kognitiven Funktionen beim Hund ist die sog. canine cognitive dysfunction rating scale (CCDR). In Verbindung mit einer eingehenden veterinärmedizinischen Untersuchung kann die CCDR helfen, neurologische Verhaltensänderungen im Rahmen einer CDS vom normalen Alterungsprozess oder anderen metabolischen und intrakraniellen Erkrankungen abzugrenzen.
Leider ist die CDS ein sehr häufig unterdiagnostiziertes Krankheitsbild in der Veterinärmedizin. Im Jahr 2007 befragten Osella et al. 124 Besitzer geriatrischer Hunde mittels eines Fragebogens zu den Symptomen einer CDS bei ihren Hunden. Fünfundsiebzig der untersuchten Hunde wiesen Anzeichen einer kognitiven Dysfunktion auf. Nicht einmal die Hälfte der Besitzer dieser Tiere suchte daraufhin einen Tierarzt auf.
Traurigerweise hätte aber wahrscheinlich auch der Tierarzt nicht die richtige Diagnose gestellt. Salvin et al. werteten 957 Fragebögen von Hundebesitzern aus 11 verschiedenen Ländern aus und errechneten eine Prävalenz für CDS von 14,2%. Erschreckenderweise wurde nur bei 1,9% der untersuchten Tiere die Diagnose Kognitive Dysfunktion durch einen Tierarzt gestellt. Hier herrscht also dringender Aufklärungsbedarf.
Aufgrund der hohen Prävalenz der Demenzerkrankung und dem hohen diagnostischen Aufarbeitungsbedarf, bietet die Kleintierklinik Hannover eine Spezialsprechstunde für Demenzpatienten, sowie Weiterbildungsangebote für Besitzer*Innen und Tierärzt*Innen an.
Spezial-Sprechstunde Hannover
Therapie
Besitzer und Tierarzt sollte klar sein, dass eine CDS nicht heilbar ist. Ein positiv prognostischer Faktor ist allerdings eine frühzeitige Diagnose. Je eher eine Behandlung begonnen wird, desto mehr kann man den Krankheitsverlauf verzögern und somit die Symptome verbessern.
Medikamente
Bestimmte Medikamente können zur unterstützenden Behandlung von chronischen Hirnleistungsstörungen im Alter eingesetzt werden.
Dieser Inhalt unterliegt den Bestimmungen gemäß Heilmittelwerbegesetz (HWG) und darf nur berechtigten Personen zugänglich gemacht werden. Bitte loggen Sie sich ein, um diesen Inhalt zu sehen.
Diätetische Behandlung
Aktuelle Forschungen zeigen, dass bestimmte Komponenten des Hundefutters positive Auswirkungen auf die Gehirnfunktion und die kognitiven Fähigkeiten haben können. Basierend auf den Erkenntnissen intensiver Forschung über das Gehirn des Hundes gibt es mittlerweile ein Futtermittel, das speziell für die Bedürfnisse bei CDS entwickelt wurde: Unter physiologischen Umständen ist Glukose die Hauptenergiequelle des Gehirns und auch sehr wichtig für die Gehirnentwicklung.
Durch die Demenz und die damit verbundenen Veränderungen im Gehirn, steht den Nervenzellen aber nicht genügend Glukose zur Verfügung – sie würden verhungern. In dieser Situation ist es wichtig, dass das Gehirn Energie aus anderen Quellen erhält, wie z.B. aus mittelkettigen Triglyceriden (MKT). Mittelkettige Triglyceride können gut über den Verdauungstrakt aufgenommen und in der Leber zu Ketonkörpern umgebaut werden. Die Ketonkörper aus der Leber passieren leicht die Blut-Hirn-Schranke, wo sie als alternative Energiequellen genutzt werden können. Neben ausreichend mittelkettigen Triglyceriden enthält dieses Spezialfutter eine ausgewählte Kombination von Nährstoffen, die alle den Stoffwechsel des Gehirns unterstützen (Arginin, die Fettsäuren EPA + DHA, Antioxidantien in Form von Vit.C, Vit.E + Selen, B-Vitamine).
Verhaltenstherapeutische Unterstützung
Wie auch beim Menschen tragen mentale Stimulationen und eine Anreicherung der Umwelt dazu bei, Denkprozesse im Gehirn anzuregen und kognitiven Verfall zu verlangsamen. Da der Besitzer für demenzkranke Hunde und Katzen der wichtigste Anker ist, sollte der Alltag der Tiere klare strukturiert sein. Neben anregenden Tätigkeiten hilft eine ruhige stressfreie Umgebung. Hunde und Katzen, die an Demenz erkrankt sind, sollten nur noch gesicherten Freigang bekommen, da sie sich auch draußen nicht an gewohnte Wege erinnern und die Gefahr groß ist, dass sie nicht mehr nach Hause finden.
Fazit
Grundsätzlich sind viel Geduld, Geborgenheit und Einfühlungsvermögen im Umgang mit betroffenen Hunden und Katzen gefragt, um ihnen das Leben mit der Krankheit zu erleichtern. Da die CDS unter vielen Besitzern noch unbekannt ist, besteht auf diesem Gebiet noch viel Aufklärungsbedarf.
Quelle (nach Angaben von):
Age-related Changes in the Brain of the Dog (Mai 1999). https://journals.sagepub.com/doi/pdf/10.1354/vp.36-3-202 09.07.2022
Under diagnosis of canine cognitive dysfunction: A cross-sectional survey of older companion dogs - ScienceDirect (10.11.2009). http://rng.org.au/wp-content/uploads/2012/07/2009-Under-diagnosis-of-canine-cognitive-dysfunction-A-cross-sectional-survey-of-older-companion-dogs.pdf. 09.07.2022
ResearchGate (Juni 2014). https://www.researchgate.net/profile/Christos-Karagiannis-3/publication/266382762_Feline_Cognitive_Dysfunction_Syndrome/links/542e7bf20cf277d58e8ebc4c/Feline-Cognitive-Dysfunction-Syndrome.pdf. 09.07.2022
Gesundheitszentrum für Kleintiere Lüdinghausen (12.01.2018). gesundheitszentrum-fuer-kleintiere-luedinghausen.de 09.07.2022
VetSpezial (04.09.2019). https://zentrum-kleintiermedizin.de/demenz-bei-hunden-und-katzen-wenn-haustiere-vergesslich-werden/. 09.07.2022
Canosan. Cognitives Dysfunktionssyndrom – Alzheimer Demenz bei Hund und Katze. https://www.canosan.de/cognitives-dysfunktionssyndrom-alzheimer-demenz-bei-hund-und-katze.aspx. 09.07.2022