Was ist Stress?
In stressigen Momenten fühlen wir uns in der Regel überfordert: Wir haben bzw. hatten nicht direkt eine Bewältigungsstrategie für eine Aufgabe parat und auch eine Unterstützung durch andere ist oder war nicht wirklich in Sicht. Potenziert wird das Ganze nicht selten durch vergleichsweise „harmlose“ äußere Umstände, die uns in diesen Augenblicken als zusätzliche Belastung vorkommen, z. B. wenn wir am Morgen auch noch in einen Regenguss kommen. Das Fazit von allem: Wir haben uns nicht gut gefühlt, negative Emotionen hatten die Oberhand. Je nachdem, wie intensiv diese Situationen waren und wie lange sie gedauert haben, vergeht eine ganze Zeit, bis wir uns von davon wieder erholt haben.
Im Allgemeinen ist Stress eine unspezifische Reaktion des Körpers auf innere und äußere Einflüsse – das gilt gleichermaßen für Mensch und Hund! Das heißt, unabhängig davon, was für ein Reiz auf einen Organismus einwirkt, die ausgelöste Stressreaktion läuft immer nach dem gleichen Schema ab und wirkt sich auf die Lebensqualität aus, besonders bei chronischem Stress. Die gute Nachricht ist: Als Tierhalter kann man einiges unternehmen, um solche Momente für die Vierbeiner so selten und so kurz wie möglich aufkommen zu lassen!
Merke
Bei der Entstehung von Stress spielen meist mehrere Ursachen und Ereignisse eine Rolle.
Stressauslösende Reize
Die auch als Stressoren bezeichneten Reize können den verschiedensten Bereichen des Umfelds entspringen. So kann zum Beispiel das Wetter eine Rolle spielen, denn sowohl große Hitze als auch extreme Kälte belasten den Körper. Aber auch mechanische Einflüsse, wie körperliche Manipulationen oder Schläge, lösen Stressreaktionen aus.
Neben Einwirkungen von außen gibt es auch innere Stressoren, die rein körperlicher Art sein können, wie z. B. Krankheiten jedweder Ursache und jedweden Ausmaßes. Bei unseren Haushunden führen Schmerzen, Hautprobleme und Magen-Darm-Erkrankungen sicherlich die Liste der häufigsten Stressfaktoren an.
Neben den körperlichen Stressoren kommt auch noch eine größere Palette an seelischen Belastungsgründen dazu: Angst, Frustration, Wut, Isolation, häufig wechselnde Sozialpartner ohne feste Bezugsperson, Langeweile, Reizüberflutung sowie geistige Überforderung. Sehr häufig ist die Ursache für Stress nicht ausschließlich in nur einem dieser Punkte zu finden. In vielen Fällen summieren sich gleich mehrere Faktoren zur letztendlichen Stressbelastung auf.
Robustes Grundgerüst
Wendet man sich den psychischen Stressoren zu, fällt auf, dass ein großer Teil wie Angst, Frustration, Wut und Überforderung eng mit dem seelischen Grundgerüst eines Hundes verknüpft ist. Dieses resultiert aus der genetischen Grundausstattung, der Aufzucht und den bisherigen Erfahrungen. Hieraus wird klar, wie wichtig die ersten Lebenswochen sind, um ein möglichst ausgeglichener Hund zu werden, den wenig aus der Bahn werfen kann. Dabei sind gesunde, aufgeschlossene und angstfreie Elterntiere der erste Baustein für stressresistenten Nachwuchs. Sind die Welpen erst einmal auf der Welt, sollten sie körperlich und geistig bestmöglich gefördert, aber nicht überfordert werden.
Frühstart
Schon während der 3. – 5. Lebenswoche wird durch den Aufbau der sogenannten Geborgenheitsreizgarnitur ein wichtiger Grundstein für psychische Belastbarkeit gelegt. Diese Reize, die der Hund in der 3. – 5. Woche (im Kontext der nur dann vorherrschenden parasympathischen Steuerung) kennengelernt hat, helfen ihm später, in Anwesenheit dieser Reize leichter und schneller wieder zu entspannen. Im optimalen Fall besteht die Geborgenheitsgarnitur aus einer Vielzahl unterschiedlicher Reize aus der belebten und unbelebten Umwelt.
Für eine wirkliche Stressstabilität ist dies aber noch nicht genug. Im Laufe der bis zur 12. Lebenswoche reichenden Sozialisationsphase muss der Welpe auch fortgesetzt ausreichend oft und vor allem positiven Kontakt zur belebten Umwelt, sprich zu Menschen, Artgenossen und evtl. auch anderen Tierarten haben, um wirklich gut sozialisiert zu sein. Darüber hinaus sollte er die Möglichkeit haben, in eigener Geschwindigkeit neue Dinge zu erkunden. Es gilt: Je mehr Reize ein Hund in dieser Zeit als „normal“ und unbedrohlich kennenlernt, desto weniger werden diese ihn im weiteren Leben beunruhigen.
Stress und Wirkung
Aus fachlicher Sicht sind Stress und die daraus resultierenden Veränderungen in Körper und Geist keinesfalls grundsätzlich negativ. Sie dienen vielmehr dazu, besondere Anforderungen in der aktuellen Lebenssituation besser zu bewältigen. Ohne die Aktivierung der Stresssteuerung könnten weder wir noch unsere Tiere schnell reagieren. Stress ist also überlebenswichtig: Er dient dazu, in Notsituationen das eigene Leben zu retten und durch kraftvolles Handeln Situationen für sich zu entscheiden oder auch Schaden zu begrenzen. Zu bedenken ist dabei allerdings, dass Stress zu schnellen, aber nicht automatisch gut durchdachten Entscheidungen führt. Unter Stress eingeschlagene Lösungswege erscheinen daher häufig „kopflos“.
Wirken Stressoren über einen kurzen Zeitraum auf ein Lebewesen ein, spricht man von akutem Stress. Ist der Hund über einen längeren Zeitraum unterschiedlichen Stressfaktoren oder immer wiederkehrenden Belastungen ausgesetzt, resultiert daraus chronischer Stress, der mit der Zeit zu körperlichen Folgen führt – oft Magen-Darm-Probleme, schlechte Haut- und Fellqualität und erhöhte Infektanfälligkeit.
Stress ist individuell!
In welchem Ausmaß Reize und Situationen als stressreich empfunden werden, ist individuell unterschiedlich. Entscheidend ist, wie ein Lebewesen die Reize in seinem Alltag emotional bewertet, wie vertraut ihm Lösungsstrategien sind und wie schnell es wieder sein emotionales Gleichgewicht erlangen kann. Chronischer Stress hat negative gesundheitliche Konsequenzen und ist ein behandlungswürdiger Zustand, da er die Lebensqualität des Tieres beeinträchtigt.
Stress erkennen
Im Ausdrucksverhalten von Hunden lassen sich bei Stress oft folgende Merkmale beobachten, die je nach Individuum einzeln oder in einer Vielzahl gezeigt werden:
Die Ohren werden nach hinten gelegt, der Schwanz sinkt bzw. wird eingezogen.
Hecheln, Schweißfüße, Zittern und geweitete Pupillen treten auf, die Herzfrequenz steigt.
Beschwichtigungssignale wie Lippen lecken, Blinzeln oder Gähnen können beobachtet werden.
Bei Überforderung im Hund-Hund-Kontakt ist auch Rammeln ein häufig gezeigter Stressausdruck.
Viele Hunde werden unruhig oder gar hektisch, wenn Stressoren auf sie einwirken. Die einen laufen hin und her, andere versuchen, wenn es die Örtlichkeiten erlauben, ein Versteck oder einen Unterschlupf aufzusuchen. Dort verkriechen sie sich und kommen erst wieder hervor, wenn die Luft „rein“ ist.
Bezüglich ihres Belastungslevels kommen manche Hunde jedoch auch an einem Rückzugsort nicht immer zur Ruhe und beginnen oft, ihre Umgebung genau zu beobachten und zu „scannen“, ob der bestehende Reiz bleibt, oder ob noch ein neues Problem dazukommt. Das erhöht die allgemeine Wachsamkeit und führt dazu, dass auch auf kleinere Reize in der Umgebung zum Teil heftig reagiert wird. Verbleibt der Hund in dieser Situation, ist es ihm nicht möglich, sich unter den unveränderten Umständen zu beruhigen und zu entspannen. Ablenkungsmanöver mit Futter oder Spielzeug schlagen häufig fehl, weil der Hund viel zu erregt ist. Und auch das Abrufen von dem Hund eigentlich bekannten Kommandos klappt nicht, weil unter dem Einfluss der Stresshormone das Abrufen von Gelerntem – und auch das Lernen von neuem – nicht mehr reibungslos funktioniert.
To Dos bei Stress
Den Stressor lange einwirken zu lassen ist kontraproduktiv, weswegen der Hund so schnell wie möglich aus der akuten Belastungssituation entlassen werden sollte. Anschließend ist es zwingend notwendig, für diesen Hund eine Liste mit seinen inneren und äußeren Stressoren aufzustellen und dann zu prüfen, wie viele der alltäglichen Stressoren sich ggf. durch einfache Umstellungen abstellen lassen. Nur an dem akuten Stressreiz zu arbeiten, der zuletzt eingewirkt hat, ist häufig nicht ausreichend.
Die folgenden Fragen können helfen, die Stressbelastung einzugrenzen:
Zeigt der Hund Anzeichen von körperlichem Unwohlsein, wie z. B. ein „unrundes“ Gangbild oder Lahmheit, Schmatzen, das Einnehmen und Verharren in der Vorderkörper-Tiefstellung, Gras fressen, plötzliches Hochschrecken aus der Ruhe (ohne äußere Einflüsse), geringere körperliche Belastbarkeit, verändertes Fress- oder Trinkverhalten? Diesen Dingen muss auf den Grund gegangen werden. Wenn keine eindeutige Ursache für diese Auffälligkeiten gefunden wird, ist bis zur endgültigen Diagnose eine symptomatische Behandlung angezeigt.
Leidet der Hund evtl. unter Witterungseinflüssen? Kältesensiblen Hunden kann ein Hundemantel helfen und Kühlwesten oder Kühlmatten können im Sommer den hitzeempfindlichen Individuen Erleichterung geben.
Gibt es soziale Reize, die den Hund ängstigen (Artgenossen, Kinder etc.) oder gibt es Situationen, die Frustration hervorrufen? Ein erster Schritt zur Problemlösung sind hier Managementmaßnahmen, die dem Hund die Situationen erleichtern: Stress auslösende Reize vermeiden und/oder Abstand zwischen Hund und Reiz vergrößern, was die Reiz-Intensität mildert.
Unbelebte und für den Hund schlecht nachvollziehbare Reize, wie beispielsweise Geräusche, lösen ebenfalls oft Angst und Stress aus. Hier wäre es passend, dem Hund einen möglichst abgeschirmten Rückzugsort anzubieten, oder ihn mit dem Tragen von Ohrstöpseln vertraut zu machen, damit die Geräusche nicht mehr in voller Lautstärke auf den Hund einwirken.
Stress-Therapie
Managementmaßnahmen zielen vorrangig darauf, das Problem nicht eskalieren zu lassen. Der Hund lernt jedoch durch sie keine Problemlösung. In einem zweiten Schritt müssen daher für die emotional negativ besetzten Situationen noch verhaltenstherapeutische Therapiemaßnahmen zusammengestellt werden. Wie diese Übungen aussehen sollten, richtet sich nach der Art und dem Ausmaß des Problems, und sie müssen von ausgewiesenen Fachleuten festgelegt und kontrolliert werden. Im Training ist darauf zu achten, einen belohnungsbasierten Weg zu beschreiten, Überforderung in jedweder Übung zu vermeiden sowie Druck und Strafe zu verbannen, denn sie rufen negative Emotionen hervor und erhöhen die Stressbelastung.
Neben individuell zugeschnittenen Übungen sollte in jedem Fall auch überprüft werden, welche allgemeingültigen Dinge zur Stressminimierung bearbeitet werden sollten. Dazu gehören unter anderem eine art- und rassegerechte Hundehaltung mit angemessener körperlicher und geistiger Beschäftigung und ausreichenden Kontakten zu Sozialpartnern.
Merke
Stressvorbeugung und Stressbehandlung erfordern individuelle Maßnahmenpakete!
Geräusch-Angst
Hunde, die bisher keine Reaktion auf Geräusche gezeigt und keine negative Erfahrung mit einem vorhersehbaren, lauten Geräuscherlebnis hatten, sollten ein auf Geräusche abgestimmtes Prophylaxetraining erhalten, das Geräusche mit positiven Werten verknüpft.
Für eher schüchterne Hunde und Tiere, die bei weniger bekannten Geräuschen erschrecken, muss diese Prophylaxe angepasst und in Therapieübungen umgewandelt werden. Hilfen, wie z. B. Futterzusätze, sollten dabei ausreichend lange vor dem Ereignis gegeben werden.
Hat der Hund bereits schlechte Erfahrungen mit Geräuschen gemacht, erschrickt er bei Geräuschen und zeigt Angst und Stress wie hecheln, zittern, Unruhe und flieht er eventuell sogar, ist es für Prophylaxe zu spät. In diesen Fällen muss direkt bzw. rechtzeitig vor dem nächsten angstauslösenden Geräuschereignis eine Verhaltenstherapie begonnen werden. Um eine (ggf. vorübergehende) Therapie mit Medikamenten kommt man dann nicht herum.
Merke: Tiere sollten nie absichtlich lauten Geräuschereignissen (Feuerwerk) ausgesetzt werden!
Weitere Informationen zum Thema Geräuschangst und Verhaltenstherapie finden Sie auf www.lupologic.de und im Kurs „Geräuschangst meistern“ ( https://geraeuschangst.hundetraining.tools ).
Stress-Unterstützung
Um die allgemeine Stresslast zu senken, kann auch der Einsatz von entsprechenden Nahrungsergänzungsmitteln und Pheromonen sinnvoll sein. Diese enthalten in der Regel unterschiedliche Kombinationen von Aminosäuren (wie L-Tryptophan, L-Theanin), pflanzliche Wirkstoffe, Milcheiweiß (α-Casozepin) und B-Vitamine. Beispiele hierfür sind unter anderem: Zylkene, Calmex, Sedarom direkt, Anxitane u. a. Diese Präparate sollten, um bestmöglich wirken zu können, über einen längeren Zeitraum verabreicht werden.
Bei starken und unvermeidbaren Belastungen stellt zudem auch der Einsatz von Medikamenten (aus der Hand eines Experten) einen wichtigen Behandlungsschritt dar.
Der Originalartikel zum Nachlesen:
(RG)