Benutzeranmeldung

Bitte geben Sie Ihren Benutzernamen und Ihr Passwort ein, um sich auf der Website anzumelden.

Suchergebnisse zur Ihrer letzten Suchanfrage

PferdMedical Training: Unterschiedlichste Situationen trainieren und Stress reduzieren

Beim Medical Training werden Alltagssituationen, Untersuchungen und Behandlungen trainiert. Dabei können unterschiedlichste Situation – vom Stillstehen bis zur Blutabnahme – geübt werden. 

Inhalt
Ein Haflinger steht auf einer Weide.
Julian Lösch/stock.adobe.com

Pferde sind von Natur aus Fluchttiere und können auf unbekannte Situationen mit Fluchtverhalten reagieren. Durch Medical Training können Situationen im Vorfeld und in Ruhe geübt werden.

Medical Training: Nutzen im tierärztlichen Alltag

Eine Situation, die Pferdepraktiker regelmäßig erleben: Ein Impftermin steht an und bei der Ankunft im Stall bietet sich das folgende Bild: Ein gestresster Patient, der (im besten Fall) auf der Stallgasse angebunden ist, wartet unruhig auf die Untersuchung oder ist (im ungünstigeren Fall) so nervös, dass er gar nicht angebunden werden kann und vom ebenso aufgeregten Besitzer herumgeführt wird. Ein sicheres Erkennen von Erkrankungssymptomen bzw. das Freisein von solchen ist hierdurch eingeschränkt, da ausgeprägtes Stress- oder Angstverhalten die Symptome überlagern kann. Eine zielführende und konstruktive Kommunikation mit dem Tierhalter ist in einer solchen Situation häufig ebenfalls schwierig. Außerdem besteht ein deutlich erhöhtes Verletzungsrisiko für den behandelnden Kollegen, den Patienten und gegebenenfalls auch den Tierhalter, da die meisten Unfälle von Tieren verursacht werden, wie Berufsunfallstatistiken belegen [1].

Berücksichtigt man, dass die beschriebene Situation keine Notfallsituation ist, in der der Patient z. B. unter starken Schmerzen leidet, zeigt sich, dass häufig schon unter „Normalbedingungen“ Umstände vorliegen, die eine sichere, fachkundige und für alle Beteiligten zufriedenstellende Untersuchung und Behandlung erschweren oder unmöglich machen. Um solche Situationen stressfreier und angenehmer und damit letztendlich sicherer zu gestalten, bietet sich ein Medical Training an. Dieses kann der Tierhalter im Vorfeld geplanter Untersuchungen/Behandlungen durchführen und das daraus resultierende, entspanntere Verhalten seines Pferdes sowie die vertrauensvollere Beziehung zu seinem Tier aber vor allem auch bei ungeplanten (Notfall-) Behandlungen nutzen.

Ein gut geplantes und korrekt durchgeführtes Medical Training kann nachhaltig die Unfallgefahr bei Untersuchungen und Behandlungen und den damit verbundenen Stress für Tier, Tierhalter und Tierarzt reduzieren und so die medizinische Versorgung des Patienten verbessern. Häufig lassen sich dadurch auch die Untersuchungs- und Behandlungszeit verkürzen und somit Kosten einsparen.

In Kürze: Besonderheiten des Pferdes

Um das Medical Training korrekt, sicher und effizient durchzuführen, sollten einige anatomisch-physiologische Besonderheiten des Pferdes berücksichtigt werden. Da die Kommunikation und Zusammenarbeit mit dem Patientenbesitzer entscheidend für den Trainingserfolg sind, sollten diese relevanten Punkte in Ruhe erklärt und verständlich besprochen werden. Denn letztendlich absolviert der Besitzer das Training mit seinem Pferd.

Pferde sind Herden- und Fluchttiere, die auf ungewohnte Situationen, auch in Verbindung mit unbekannten Personen, Gerüchen oder Geräuschen, mit Vorsicht, gegebenenfalls mit Angst und Fluchtverhalten reagieren. Ein entscheidender Faktor für die Stress- und Angstentstehung ist der Verlust bzw. das Nicht-Vorhandensein der Kontrolle über die unbekannte Situation. Ist für eine Untersuchung oder Behandlung die Trennung von der Herde (oder auch vom Boxennachbarn) notwendig, kann dies die Angst verstärken. Zu den typischen Reaktionen aus dem „Angstrepertoire“ zählen in erster Linie Flucht („Flight“), um der angstauslösenden Situation zu entkommen, und (wenn dies nicht möglich ist) Treten oder Beißen als Ausdruck eines Angriffs („Fight“). Einige Tiere reagieren bei fehlender Fluchtmöglichkeit, beispielsweise bei Fixation, mit einem temporären Erstarren („Freeze“) als Ausdruck von Stress und gesteigerter Angst. Dies wird häufig mit Unwillen oder sogar Resilienz verwechselt. Das arttypische Angst- und Fluchtverhalten liegt vornehmlich in den Sinnesleistungen des Pferdes begründet: Durch die seitlich am Kopf angeordneten Augen besitzen Pferde ein breites monokulares Gesichtsfeld mit einem blinden Bereich ober- und unterhalb der Augenhöhe, der ein häufiger Anlass für Scheuen ist. Der für die Gefahrwahrnehmung wichtige Hör- und Geruchssinn ist ebenfalls gut ausgebildet.

Im Zusammenhang mit dem Medical Training als Form des assoziativen Lernens (s. u.) seien auch die kognitiven Fähigkeiten erwähnt. Pferde zeichnen sich durch eine hohe Aufmerksamkeitsgabe, ein gutes geografisches Gedächtnis sowie die Fähigkeit, Fressfeinde (wieder) zu erkennen, aus, was v. a. im intraspezifischen Kommunikationskontext überlebensnotwendig ist. Darüber hinaus sind unsere domestizierten Pferde in der Lage, mit dem Menschen zu kommunizieren, seine Körperhaltung und Stimmungen zu deuten und basierend auf den bisherigen Erfahrungen mit einer individuellen Person, diese als positiv oder negativ einzustufen. Neuere Untersuchungen zeigen zudem, dass Pferde zu innovativem (Lern-)Verhalten fähig sind. Sie sind in der Lage sich an spezielle Anforderungen/Situationen individuell anzupassen. Dabei spielt die intrinsische Grundeinstellung des Tiers (positiv/neugierig oder negativ/pessimistisch) eine entscheidende Rolle für die Bewertung und die Reaktion auf unbekannte Situationen. Diese Dinge sollten, insbesondere zu Trainingsbeginn und wann immer ungewohnte Situationen trainiert werden, Beachtung finden.

Medical Training: die Basics

Für ein erfolgreiches Medical Training eignet sich besonders die operante Konditionierung, ein Lernprinzip, dem das Lernen am Erfolg zugrunde liegt. Hierbei werden Verhaltensweisen in ihrer Häufigkeit durch Belohnung oder Bestrafung modifiziert. Die Belohnung oder Bestrafung kann dabei sowohl positiv als auch negativ durchgeführt werden, wobei diese Begriffe nicht auf den emotionalen Aspekt des Verhaltens, sondern auf das Zuführen (positiv) oder das Entziehen (negativ) von Reizen bezogen sind [Tab. 1].

Primäre und sekundäre Verstärker

Damit Tiere ein Verhalten häufiger zeigen, werden Verstärker (Belohnung) eingesetzt, die in primäre und sekundäre Verstärker unterteilt werden können. Primäre Verstärker haben für das Tier von Natur aus eine hohe Bedeutung. Dies können beispielsweise Nahrung, Wasser und soziale Kontakte sein. Sekundäre Verstärker sind Reize, die ursprünglich keine Bedeutung für das Tier besitzen, aber durch eine klassische Konditionierung eine positive Verknüpfung mit einem primären Verstärker erhalten. Hierzu zählen u. a. Klicker oder Trainingspfeifen. Sekundäre Verstärker bieten die Möglichkeit, die Pferde sehr zielgerichtet und auf eine kurze Distanz zu belohnen. Weiter können sekundäre Verstärker personenunabhängig genutzt werden und sie bieten auch in stressigen Situationen stimmungsunabhängige Reaktionen auf das Verhalten des Pferdes. Diese Vorteile verkürzen die Zeit bis zum Trainingserfolg. Besonders erwähnenswert ist hier der Klicker, mit dem einige Pferdebesitzer vielleicht schon Erfahrung gesammelt haben und somit mit Utensil als auch Technik vertraut sind.

Timing und Konsequenz

Unabhängig davon, ob ein primärer oder sekundärer Verstärker verwendet wird: Wichtig für ein erfolgreiches Training sind das Timing und die Konsequenz, mit der nur noch für erbrachte Leistung belohnt wird. Dies verlangt gerade am Anfang einiges an Zuspruch und externer Motivation, verselbstständigt sich aber nach den ersten sichtbaren Erfolgen.

Trainingsprotokolle

Für eine bessere Kontrolle empfiehlt sich das Ausfüllen von Trainingsprotokollen, in denen jedes Training dokumentiert und z. B. mit Schulnoten bewertet wird. So werden Erfolge schnell sichtbar und bei Trainingsrückschritten kann zeitnah gegengesteuert werden (s. Trainingsprotokoll).

Die tägliche Trainingszeit sollte gerade am Anfang 10 – 15 Minuten nicht überschreiten und es sollten trainingsfreie Tage eingeplant werden, um Erlerntes besser verarbeiten zu können.

Verschiedene Trainingslektionen

Für das Training wird die Hauptlektion in mehrere, aufeinander aufbauende Zwischenziele unterteilt. Sobald das Pferd ein Zwischenziel stabil erreicht hat, wird dieses nicht mehr belohnt, bis schließlich nur noch die vollständige Durchführung der Lektion belohnt wird. Unerwünschtes Verhalten sollte nach Möglichkeit ignoriert, auf keinen Fall aber belohnt werden. Trainingserfolge sollten nach ca. 5 Lerneinheiten sichtbar sein, wobei das Ausbleiben der Erfolge den Rückgang zum vorherigen Zwischenziel mit sich bringt.

Für komplexe Lektionen (z. B. Blutabnahme) ist es hilfreich, wenn das Pferd schon gelernt hat, still zu stehen. Außerdem sollte es sich bereitwillig auch an Stellen, die nicht täglich berührt werden, über einen längeren Zeitraum anfassen lassen. Hier empfiehlt sich folgender Trainingsplan:

Lektion Stillstehen und Berührungen

Ziel: Das Pferd steht still und toleriert Berührungen über einen längeren Zeitraum.

Zwischenziele:

  1. Das Pferd steht still und entspannt sich ([Abb. 1]; sollte das Pferd zu unruhig sein, kann es hilfreich sein, zuerst jede Art von kurzzeitiger Ruhe und Entspannung zu belohnen).

  1. Das Pferd weicht Berührungen nicht aus.
  2. Das Pferd toleriert länger anhaltende Berührungen.
  3. Das Pferd duldet längere Berührungen an unterschiedlichen Stellen.

Lektion Blutabnahme

Ziel: Das Pferd toleriert die Fixierung am Halfter ohne Abwehrreaktionen und bleibt bei der Stauung und der Punktion der Vene ruhig [Abb. 2].

Bei dieser Lektion ist es vorteilhaft mit einer 2. Person zu trainieren.

Zwischenziele:

  1. Das Pferd duldet den Fixierungsgriff am Halfter [Abb. 2].
  2. Die Jugularvene wird gestaut, zeitgleich wird mit dem Finger auf die Vene gedrückt. Das Pferd steht dabei ruhig.
  3. Die Jugularvene wird gestaut, zeitgleich wird von einer 2. Person mit einem spitzeren Gegenstand auf die Haut in der Nähe der Vene gedrückt. Das Pferd steht dabei ruhig.

Lektion Zahnkontrolle

Ziel: Das Pferd geht selbstständig zum Anheben der Oberlippe in die Fixierung und duldet kleine Manipulationen an den Schneidezähnen [Abb. 3].

Zwischenziele:

  1. Das Pferd bleibt bei der Berührung der Oberlippe ruhig.
  2. Das Pferd toleriert das Anheben der Oberlippe.
  3. Das Pferd berührt selbstständig die Hand mit dem Maul und toleriert anschließend das Anheben der Oberlippe.
  4. Die zeitliche Verlängerung der Fixierung wird vom Pferd geduldet.
  5. Das Pferd toleriert leichte Manipulationen, wie z. B. das Abklopfen der Zähne.

Lektion orale Medikamentengabe

Ziel: Das Pferd lässt sich geduldig am Halfter fixieren und toleriert das Einschieben der Spritze (Beispiel Wurmkur). Das Pferd bleibt auch während und nach der Applikation ins Maul ruhig stehen [Abb. 4].

Zwischenziele:

  1. Das Pferd duldet die Fixierung am Halfter.
  2. Eine Spritze wird in die Maulspalte eingeführt, hierbei bleibt das Pferd ruhig.
  3. Das Pferd toleriert das Applizieren aus der Spritze.
  4. Auch nach der Applikation bleibt das Pferd ruhig und gelassen.

Kooperationstarget oder Fixierung?

Oft wird der Einsatz eines sog. Kooperationstargets empfohlen, bei dem das Pferd z. B. selbstständig das Kinn auf eine Stütze ablegt und bereitwillig stillhält.

Aus Sicherheitsgründen ist aber das Trainieren von Fixierungsmaßnahmen ratsamer, da bei tierärztlichen Eingriffen oft ein Schmerzreiz gesetzt werden muss. Dieser Schmerz, wie er zum Beispiel bei der Blutabnahme auftritt, kann nur bedingt im Vorfeld trainiert werden. Die Fixierungsmaßnahmen können jedoch so trainiert werden, dass sich das Pferd selbstständig in eine Fixierung begibt. Auf diese Weise werden sowohl dem Pferdehalter als auch dem Pferd aktive Handlungen angeboten, die dem Stressor Kontrollverlust effektiv entgegenwirken.

Zusammenfassung und Ausblick

Ein korrekt geplantes und durchgeführtes Medical Training ist sehr gut geeignet, um Alltagssituationen zu trainieren. Es lässt sich somit eine Grundlage schaffen, um stressige Situationen, die z. B. mit Schmerz verbunden sein können, besser zu meistern. Von der damit verbundenen Stressreduktion profitieren das Pferd, der Tierbesitzer und der behandelnde Tierarzt. Durch das Training entwickeln die Pferde und ihre Besitzer eine mentale Sicherheit. Diese kann die durch den Kontrollverlust in unbekannten Situationen induzierte Angst kompensieren und so auch die Erwartungshaltung gegenüber dem Tierarztbesuch positiv beeinflussen.

Neben den beschriebenen Lektionen sind zahlreiche weitere Situationen denkbar, die sich durch Medical Training gezielt üben und so positiv belegen lassen. Dies reicht vom „simplen“ Stillstehen für einen Herzultraschall oder die Auskultation von Lunge oder Darm, über das Tolerieren des zur Seite Heben des Schweifs und Einführen eines Fieberthermometers, bis hin zu eher komplexeren Abläufen wie dem freiwilligen Anheben und Fixieren einzelner Gliedmaßen für orthopädische Untersuchungen. Für alle beschriebenen oder denkbaren Situationen gilt: es lohnt sich! Letztendlich können alle beteiligten Menschen und Tiere nur profitieren.

Entscheidend für den (nachhaltigen) Erfolg eines Medical Trainings ist die gute Kommunikation mit dem Pferdebesitzer, der verstehen muss, warum das Training wichtig und gut ist. Entscheidend für ein erfolgreiches Training sind ein strukturierter Plan, das richtige Timing für die Belohnung und die Konsequenz, mit der nur erwünschtes Verhalten belohnt wird. Nach einer ausführlichen Beratung mit entsprechenden Erklärungen, die folglich als Grundleistung „Beratung“ nach GOT abgerechnet werden kann, händigt man dem Patientenbesitzer idealerweise einen leicht verständlichen Trainingsplan aus (s. Beispiel), in dem die einzelnen Schritte erklärt sind. Alternativ können auch Trainingskurse in der eigenen Praxis oder Klinik angeboten werden, sodass sich der Mehraufwand über Teilnahmegebühren wirtschaftlich vertretbar gestalten lässt. Zudem können eigene Angestellte (z. B. TFAs) in das Training eingebunden werden, um deren häufig engen und persönlichen Kontakt zum Patientenbesitzer positiv zu nutzen. So ergibt sich neben dem vordergründigen „gesundheitlichen“ Nutzen des Medical Trainings durch die Reduktion der Unfall- und Verletzungsgefahr auch ein wirtschaftlicher Benefit.

TAKE HOME

  • Medical Training ist geeignet, (nicht-)alltägliche Situationen und Manipulationen zu trainieren und Stress und Verletzungsgefahren zu minimieren.
  • Nach entsprechender Einweisung und mit ein wenig Übung kann es prinzipiell jede(r) anwenden.
  • Entscheidend für ein erfolgreiches Medical Training sind Planung, Konsequenz und Timing.

Der Originalbeitrag zum Nachlesen:
Armbrecht Y., Elfers K. "Vom Stillstehen bis zur Blutabnahme – Medical Training in der Pferdepraxispferde spiegel 2024; 27(01): 4-11 DOI: 10.1055/a-2165-0459

(IR)

  1. Kozak A. et al. Unfälle und Berufskrankheiten bei Beschäftigten in Tierarztpraxen. Deutsches Tierärzteblatt 2012; 9: 1230-1236

Yvonne Armbrecht ist Tierpflegemeisterin im Institut für Physiologie und Zellbiologie an der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover. Sie hat einen Bachelorabschluss Professional of Animal Care and Management.

Kristin Elfers, PhD arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Physiologie und Zellbiologie an der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover.

Der Originalartikel "Vom Stillstehen bis zur Blutabnahme – Medical Training in der Pferdepraxis" erschien im Pferdespiegel.