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Nicht immer kommen Kunden mit einfachen Wünschen und Anliegen in unsere Praxis, manchmal zeigen sie sich auch von ihrer anstrengenden Seite und fordern uns heraus. Dies ist z. B. der Fall, wenn sie uns nach „sanften“ Alternativen für die Entwurmung fragen, die Vor- und Nachteile von getreidefreier Fütterung diskutieren wollen oder wir ihnen erklären müssen, dass Bernsteinketten keine sichere Option zur Zeckenbehandlung sind. Dann wird es spannend.
Die Kundensicht
Kunden heute haben im Internet eine riesige Menge an Informationen zur Verfügung, und dies rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr. Dabei können sie natürlich die Qualität der auf zahllosen Plattformen und in unüberschaubaren Chats dargebotenen Informationen nicht beurteilen. Vieles klingt sinnvoll, in sich schlüssig, logisch und nicht selten sind die Infos auch mit der Möglichkeit verknüpft, die besprochenen Produkte mit ein paar Klicks zu kaufen. Verlockend für unsere Kunden, wollen sie doch gerne ihren Lieblingen etwas Gutes tun! Wenn wir Glück haben, erzählt uns der Kunde von seinen „Netzfunden“ und wir können darüber diskutieren, Fakten zurechtrücken und evtl. auch Gefahren abwenden. Wenn der Tierbesitzer allerdings spürt, dass wir nicht bereit sind, mit ihm über seine Funde zu sprechen, dann verlieren wir die große Chance, unsere Professionalität zu zeigen und Kunden zu binden. Deswegen ist es auf jeden Fall sinnvoll, wann immer sich die Gelegenheit bietet, mit interessanten und neuen Informationen aktiv auf Kunden zuzugehen, anstatt zu warten, bis der Kunde die (passenden) Fragen stellt – so hat das Praxisteam die Nase vorn und nicht das Internet.
Merke
Nr. 1 für Informationen zur Tiergesundheit zu sein bedeutet, den Kunden proaktiv zu versorgen!
Netz-Recherche machen
Es ist sinnvoll, ab und zu mit „Kundenaugen“ im Internet zu stöbern, um sich immer mal wieder zu erden und sich klar zu werden, auf welchen Seiten unsere Kunden unterwegs sind. Dabei sind z. B. Suchworte wie „Hundenahrung“, „Flohmittel“ oder „Zeckenschutz“ gute Schlagworte, um viele Treffer zu erhalten. Dies hilft, Verständnis für die manchmal sehr merkwürdigen Anfragen unserer Kunden aufzubringen und auch, um unsere Informationen kundengerechter aufzubereiten. Denn manchmal sind wir tatsächlich zu fachlich unterwegs, d. h. unsere Kunden fühlen sich nicht richtig verstanden und angesprochen mit dem Effekt, dass Informationen nicht optimal ankommen.
Und hier eine kleine Auswahl von aktuellen Netzfunden, mit denen sich unsere Kunden beschäftigen:
- Anleitung für Rohfütterung, Darmreinigung gegen Endoparasiten und Anwendung von Kürbiskernen gegen Bandwürmer gibt es z. B. auf www.drei-hunde-nacht.de. Die Informationen auf dieser Seite sind in Bezug auf Endoparasitenbehandlung sehr kritisch zu beurteilen, vor allem dann, wenn es sich z. B. um Familienhunde handelt, die evtl. aufgrund von derartigen Informationen „entwurmt“ werden.
- Interessantes zur (natürlich nicht mit Studien belegten) Wirkungsweise von Bernsteinketten gegen Zecken gibt es z. B. auf www.antizecken.com. Komplett mit einem Antizeckenblog und Bestellmöglichkeit für Bernsteinketten.
- Kokosöl riecht gut, kann gegessen werden und wirkt auch laut www.kokosoel.info gut gegen Flöhe. Auch hier gibt es keine Studien, die einen Wirksamkeitsnachweis des Öls gegen Flöhe belegt, wie es bei echten medizinischen Produkten notwendig ist. Es wird zwar eine Studie aus den 1960ern zitiert – die jedoch bezieht sich auf die Anwendung beim Menschen gegen allerlei Beschwerden, nicht gegen Parasiten. Und natürlich gibt es die Möglichkeit, ein „sehr gutes Bio Kokosöl“ direkt zu kaufen.
Strategie ist gefragt!
Um das Informationsbedürfnis der Kunden zu befriedigen und ihnen fachlich korrekte und gut verständliche Informationen an die Hand zu geben, sollte die Praxis für die wichtigsten Beratungsthemen und Kundenfragen eine Strategie gestalten:
- Die Basis für die Strategie stellen einheitliche und aktuelle Fakten dar.
- Der zweite Pfeiler der Strategie besteht aus der Kommunikation zum Kunden.
- Last but not least sollten noch ein paar Richtlinien für den Umgang mit „sperrigen“ Kunden und Kunden mit merkwürdigen Anfragen definiert werden.
Die Basis
Für eine gute Basis z. B. zum Thema Endo- und Ektoparasiten kann das Praxisteam alle verfügbaren Informationen aus verschiedenen Quellen zusammentragen, oder aber einfach z. B. die ESCCAP-Richtlinien auf www.esccap.de heranziehen und einsetzen. Die für ein Praxisteam geltenden Beratungsrichtlinien sollten schriftlich fixiert, in für Kunden verständlicher Form und leicht zugänglich vorliegen, sodass jeder aus dem Team einfach und schnell Zugriff hat.
Eine gemeinsame Beratungsbasis ist immens wichtig für ein Praxisteam, denn alle Kunden sollten dieselben Informationen erhalten. Bekommen Kunden von verschiedenen Teammitgliedern unterschiedliche Informationen, dann kann das Verwirrung stiften und im Nachgang zu verstärkter Info-Suche im Netz führen!
Die Kommunikation
Wenn die Basis steht, geht es an die Gestaltung der Kundenkommunikation, die sicherstellt, dass jeder Kunde immer wieder proaktiv auf bestimmte Themen angesprochen wird. Proaktiv ist hier ganz besonders wichtig, denn es zeigt dem Kunden, dass das Praxisteam an die Kundenbedürfnisse denkt (bevor der Kunde im Netz surft) und professionelle und gut verständliche Informationen anbietet. Das Motto sollte sein: Wir verwöhnen den Kunden so mit Infos, dass er gar nicht auf die Idee kommt, sich Ratschläge im Netz zu suchen.
Für eine proaktive Beratungspraxis sind folgende Punkte wichtig ([Abb. 1]):
- Wie wird der Kunde angesprochen?
- Wer spricht den Kunden an?
- Wann wird der Kunde angesprochen?
Damit eine Kundenansprache gelingen kann, ist es wichtig, dass die Kundenkartei im Computer gepflegt wird und ALLE angewendeten und abgegebenen Produkte über die jeweilige Tierdatei abgerechnet werden. Nur so liegen alle Fakten vor, um den Kunden optimal anzusprechen und die passenden Empfehlungen wie in den folgenden Musterdialogen auszusprechen. In unserer Musterpraxis hat das Team beschlossen, dass die TFAs an der Rezeption bei jedem Kunden, der sich anmeldet, die Kartei öffnet und die angewendeten und abgegebenen Produkte checkt, um die Käufe des letzten halben Jahres zu prüfen. So ist mit einem kurzen Klick und Blick zu sehen, was zur Endo- und Ektoparasitenbekämpfung sowie Ernährung und evtl. weiterer Dauermedikation verkauft wurde und ob Handlungsbedarf besteht.
Als Szenario kommt Frau Meyer mit Lucky zum jährlichen Gesundheitscheck und wird von der TFA angesprochen: „Hallo Frau Meyer, schön, dass Sie da sind. Heute steht der Gesundheitscheck für Lucky an, richtig?“ Frau Meyer: „Ja, stimmt!“
Fall 1
TFA öffnet Luckys Kartei und sieht, dass Luckys Entwurmung fällig ist, sie immer Präparat XY gekauft hat und damit sehr zufrieden ist.
TFA: Frau Meyer, ich sehe in Luckys Kartei, dass die Entwurmung fällig ist. Darf ich Ihnen wieder XY einpacken?
Frau Meyer: Ja, gerne. Super, dass Sie dran gedacht haben!
So zeigt das Team, dass es aufmerksam ist und darauf achtet, einen guten Service zu bieten.
Fall 2
TFA öffnet Luckys Kartei und sieht, dass Frau Meyer gerade vor 2 Wochen Entwurmung gekauft hat.
TFA: Frau Meyer, ich sehe, Sie haben vor 2 Wochen Entwurmung gekauft. Das war optimal, Lucky vor dem Gesundheitscheck mit Impfung zu entwurmen.
Hier wird der Kunde in seinem Verhalten bestärkt – jeder Mensch freut sich, wenn er „gelobt“ wird, und es bestätigt und unterstützt das Verhalten für die Zukunft.
Diese beiden Fälle stellen sich in der Regel einfach dar, d. h. die Kundin ist mit den Empfehlungen der Praxis zufrieden und befolgt sie. Eine Garantie für die Zukunft gibt es nicht, was bedeutet, dass die Praxis bestimmte Themen konstant im Auge behalten und „verfolgen“ sollte. Natürlich darf der Kunde sich dabei nicht bedrängt fühlen, d. h., er muss nicht mehrfach auf ein und dasselbe Thema angesprochen werden: 2 × reicht. Wichtig ist dabei jedoch, dass in der Kartei ein Gesprächsvermerk eingefügt wird, damit immer ersichtlich ist, wer, wann über was mit dem Kunden gesprochen hat – und der muss natürlich auch gelesen werden!
Der Lohn
Dass es sich lohnt, konsequent z. B. am Thema Ekto- und Endoparasitenschutz dran zu bleiben, verdeutlicht folgendes Beispiel, bei dem Sie einfach die Verkaufszahlen Ihres Lieblingsproduktes einsetzen können, um den möglichen Umsatz in € zu erhalten:
- Musterpraxis „FullService“ hat 1200 aktive Kunden, 600 Hunde und 400 Katzen (200 Heimtiere etc.).
- Derzeit wird nur die Hälfte der Hunde und Katzen ca. 2 × im Jahr entwurmt: 300 Hunde (20 kg) × ____€ PLUS 200 Katzen (5 kg) × ____€ = ____€.
- Der Umsatz an Wurmmitteln könnte für die 1000 Hunde- und Katzenkunden also verdoppelt werden, wenn alle Tiere 2 × im Jahr entwurmt würden: einfach die oben errechneten Zahlen verdoppeln.
- Und für manche Hunde und Katzen empfiehlt die ESCCAP sogar noch mehr Entwurmung, abhängig von deren Lebensweise (s. Entwurmungstest auf esscap.de) – das heißt: Es geht sogar noch mehr.
Diese Umsatzchance und Umsatzsteigerung sollte jede Praxis nutzen, denn hier wird der Kunde gemäß aktueller Expertenempfehlung zu sinnvollen Maßnahmen beraten und unterstützt, es geht nicht darum, dem Kunden möglichst viel Geld abzunehmen. Und sollte der Kunde absolut keine Parasitenbehandlung wünschen, auch kein Problem, dann empfehlen wir eben Kotuntersuchungen. Entscheidend ist, dass wir konsequent beraten, denn das ist unser Job, und nicht der von „Doc Google“!
Merke
Wenn es um komische Netz-Infos geht, gilt: mit dem Kunden ansehen, diskutieren und klären!
Der sperrige Kunde
Die Champions League der Kommunikation beginnt, wenn Kunden uns mit merkwürdigen Wünschen konfrontieren. So zum Beispiel, wenn sie mit Kokosöl gegen Zecken vorgehen, ihren Welpen barfen wollen oder eine Bernsteinkette gegen Flöhe einsetzen. Das sind zwar alles unterschiedliche Anliegen, aber die Strategie im Umgang ist immer dieselbe ([Abb. 2]):
- Interesse, Überraschung oder Erstaunen signalisieren.
- Gezielte Fragen stellen nach Herkunft der „Idee“, nach Wirksamkeitsnachweisen und nach dem Beweggrund.
- Diskussion über Wirkweise, Nebenwirkungen etc. erst, wenn alle Fakten schriftlich „auf dem Tisch sind“.
- Empfehlung und Angebot von passenden Produkten aus der Praxis mit Kunden-Nutzen.
Diese Vorgehensweise kommt im Fall 3 zum Tragen, wenn Frau Meyer ihren Lucky mit Kokosöl entwurmen möchte.
Fall 3
TFA öffnet Luckys Kartei und sieht, dass Frau Meyer für Lucky dieses Jahr noch keine Entwurmung gekauft hat.
TFA: Frau Meyer, was haben Sie dieses Jahr zur Entwurmung eingesetzt?
Frau Meyer: Kokosöl. Das habe ich im Internet gelesen. Ist total sanft und ich mag doch keine Chemiebomben.
Hier hat die TFA zunächst eine offene Frage eingesetzt, um möglichst viel Informationen zu bekommen, ob und was Frau Meyer gegen Würmer unternommen hat. Dies ist auf jeden Fall sinnvoller, als mit einer geschlossenen Frage zu arbeiten: „Haben Sie dieses Jahr etwas gegen Würmer unternommen?“ Denn dann gibt es ein „ja“ oder „nein“ als Antwort und man muss weiterfragen. Und: Frau Meyer outet sich als „Chemiegegner“, das bedeutet, die TFA muss mit dem Thema feinfühlig umgehen. Gleich einen Vortrag zum Thema „was wir Ihnen mitgeben, ist keine Chemiebombe“ wäre nicht sinnvoll. Denn dann „kämpfen“ 2 Meinungen miteinander, und das ist kein echter Austausch mit der Chance auf eine gute Lösung.
TFA: Kokosöl, das ist ja interessant! Haben Sie dazu weitergehende Informationen für mich, z. B. eine Studie über den Wirksamkeitsnachweis oder so?
Frau Meyer: Nein, da habe ich nicht darauf geachtet. Es liest sich alles so logisch, was da auf der Homepage steht. Und das Kokosöl hat keine Nebenwirkungen, das ist doch schön. Und man kann es dort gleich auf der Homepage bestellen.
TFA: Frau Meyer, was ist Ihnen bei einer Entwurmung denn wichtig?
Frau Meyer: Es muss wirken, ich muss sicher sein, dass Lucky keine Würmer hat. Und es soll keine Chemiebombe mit Nebenwirkungen sein!
TFA: Welche Nebenwirkungen von unseren Entwurmungsmedikamenten haben Sie bei Lucky denn bemerkt?
Frau Meyer: Eigentlich keine …
TFA: Ich kann verstehen, dass Sie sich Gedanken machen und Lucky möglichst ohne Nebenwirkungen entwurmen wollen. Deswegen haben wir für unsere Praxis Präparat XY ausgewählt. Das wirkt zuverlässig und schonend, alle Studien belegen die Wirksamkeit und wir haben keine Rückmeldung zu Nebenwirkungen von unseren Kunden. Im Gegenteil, die meisten Kunden loben das Produkt.
Es ist wichtig, die im Internet erhältlichen „Präparate“ und Produkte deutlich von tiermedizinischen Arzneimitteln und Produkten abzugrenzen – für unsere Produkte gibt es Studien mit belegter Wirkung, für viele freiverkäuflichen Produkte gibt es nicht einmal Mengenangaben für die „Wirkstoffe“.
TFA: Frau Meyer, ich mache Ihnen einen Vorschlag: Ich gebe Ihnen heute eine Dosis von XY mit, das hat Lucky ja gut vertragen, dann ist er wurmfrei und kann Sie nicht mit Würmern anstecken. Sie schauen mal im Internet, was da über das Kokosöl steht und senden mir den Link auf die Seite oder bringen mir einen Ausdruck zum Lesen. Dann diskutieren wir zu dem Thema. Wie klingt das?
Jetzt ergreift die TFA das Kommando und macht einen guten Vorschlag, der Frau Meyer den Nutzen von XY aufzeigt (Lucky wurmfrei, kann nicht anstecken) und Gesprächsbereitschaft für eine Diskussion mit Fakten zum Thema Kokosöl zeigt.
Frau Meyer: Das klingt vernünftig. Das machen wir, ich melde mich, wenn ich die Fakten habe.
Frau Meyer verlässt zufrieden die Praxis, denn sie wurde ernst genommen, ihr wurde ein gutes Angebot gemacht und man ist bereit zum weiteren Dialog. Das drängt das Internet im Kundenbewusstsein in den Hintergrund, denn was in unserer Branche immer noch zählt, ist die persönliche und individuelle Empfehlung „von mir für Dich“!
Merke
Ist der Kunde sperrig? Mit Interesse, Fakten, individuellen Nutzen-Angeboten und Herz wird er zahm!
Fazit
Mit einer festgelegten und geübten Strategie (Rollenspiel!) zu kontroversen Themen kann die Praxis durchaus auch in Zeiten des Internets punkten. Was dabei zählt, ist der Wille, den Dialog auch mit sperrigen Kunden zu suchen und für jeden Kunden die für ihn und sein Tier beste und professionelle Lösung proaktiv anzubieten.
Der Originalbeitrag zum Nachlesen:
Blättner A. "Der Kunde hat merkwürdige Fragen und Wünsche". tk 2018; 14(04): 22-25 DOI: 10.1055/a-0726-2017
(JD)