
Dorothee Köstler (links) im Dialog mit einer Teamkollegin. Eine offene und wertschätzemde Kommunikation bildet Vertrauen und senkt die Barrieren, belastende Situationen anzusprechen und Hilfsangebote zu gestalten.
Als ausgebildete Ersthelferin für mentale Gesundheit bin ich als Ansprechpartnerin für alle Kolleg*innen zuständig, die mit psychisch belastenden Situationen im Berufsalltag konfrontiert werden und darüber sprechen wollen. Ich versuche Kolleg*innen aktiv anzusprechen und auf sie zuzugehen, wenn ich den Verdacht habe, dass es ihnen nicht gut geht – egal ob im beruflichen Alltag oder privat. Denn auch private Probleme spielen oft eine große Rolle im Umgang mit beruflichen Herausforderungen.
Ich setze dann meine erlernten Kenntnisse ein, um die ersten Anzeichen von psychischen Veränderungen, Krisen und Belastungen zu erkennen und unkompliziert und vertraulich erste Hilfe zu leisten. Oft können ein vertrautes Gespräch und das Gefühl nicht allein zu sein schon viel bewirken. Aber auch die Ermunterung zur Inanspruchnahme von professioneller Hilfe ist möglich. Auch ist es zur aktiven Krisenvorbeugung hilfreich, schon über die „kleinen“ Probleme des Berufsalltags zu sprechen und Konflikte direkt zu lösen.
Merke
In einem so emotionalen und anspruchsvollen Berufsfeld wie der Tiermedizin sind Mental-Health-Ersthelfer*innen besonders wichtig.
Die Ausbildung
Die 1-wöchige Online-Ausbildung zum TeamSupport Mental Health von Vetivolution habe ich im November 2023 in einer Gruppe mit 12 TFA und Tierärzt*innen absolviert. Die Ausbildung wurde von einem Diplom-Psychologen geleitet und für die Online-Meetings erhielten wir ein ausführliches Handbuch und ein Workbook mit Aufgaben und Übungsfällen. Durch das Handbuch und den Psychologen erhielten wir Informationen über verschiedene psychische Erkrankungen; die Übungsfälle wurden von Vetivolution auf die Tiermedizin zugeschnitten. Diese Kombination war sehr interessant, da man über verschiedene psychische Erkrankungen aufgeklärt wurde und sich anhand der praktischen Beispiele gut einfühlen konnte.
In den Übungsfällen spielten wir in Kleingruppen fiktive Beispiele durch und lernten Erste-Hilfe-Maßnahmen, die man in Krisensituationen anwenden kann. Dabei spielten zum Beispiel offene Fragen, helfende Sätze aber auch Kontakte und Telefonnummern von Seelsorgeeinrichtungen eine Rolle.
Vetivolution
Vetivolution ist eine gemeinnützige Organisation, die 2022 von Dr. Karim Montasser und Dr. Jana Dickmann gegründet wurde. Ziel der Organisation ist es, über Supervisionen in Kleingruppen Direkthilfe für Tierärzt*innen, TFA und Studierende zu leisten. Über Social Media, Podcast und Kongresse wird versucht, das wichtige Thema der mentalen Gesundheit in der Tiermedizin zu thematisieren und zu verbessern. Details finden Sie hier:
Abschluss und Betreuung
Nach Bestehen der Online-Abschlussprüfung erhielt ich als Ersthelferin ein Zertifikat zum MHFA (Mental Health First Aid). Zusätzlich haben alle, die das Programm von Vetivolution durchlaufen und bestanden haben, die Möglichkeit bekommen, über weitere 12 Monate durch Gruppen-Supervisionssitzungen begleitet zu werden. Diese Sitzungen erfolgen online in Begleitung einer ausgebildeten Therapeutin und finden 1× im Monat statt. Ergänzt werden die Supervisionsmeetings durch Kurzvorträge von Vetivolution zu Mental-Health-Themen, z. B. den Umgang mit Euthanasie.
Ich persönlich fand dieses Zusatzangebot sehr hilfreich, da der Umgang mit belastenden Situationen unsere tägliche Arbeit betrifft und wir so noch einiges an Hintergrundinformationen bekamen. Nach den Kurzvorträgen hatten wir als Gruppe 2 Stunden Zeit, um belastende Themen und Alltagssituationen zu besprechen, die uns in den letzten Wochen begleitet haben. Ich empfand die Gruppendynamik und unsere Therapeutin als sehr vertrauenerweckend und unterstützend. Gerade das Gefühl, mit Krisen in der Praxis nicht allein zu sein und eine Möglichkeit zu haben, etwas nachzubereiten, hat mir sehr geholfen.
Merke
Die Depressionsrate in der Tiermedizin ist im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung 3× höher und die Suizidgefährdung ist in unserer Berufsgruppe 5× so hoch.
Wieso ist Supervision wichtig?
In unserem Berufsumfeld arbeiten Menschen, die eine hohe Leistungsorientierung und einen hohen Idealismus mit sich bringen. Außerdem sind Situationen, wie der Umgang mit Euthanasie und Krankheit sowie fehlende Anerkennung und schlechte Arbeitskonditionen ein großes und sehr belastendes Thema in der Tiermedizin. Das führt leider oft zu einem enormen Leidensdruck, dem nicht jeder standhalten kann. Und genau hier helfen Angebote zur mentalen Gesundheit und Supervision dem Praxisteam, die Belastungen im Job auszugleichen.
Da ich mittlerweile seit 18 Jahren in meinem Beruf arbeite, habe ich viele Situationen erlebt, die nicht angesprochen und verarbeitet wurden und belastende Nachwirkungen auf Kolleg*innen hatten. Die teilweise schlechte mentale Gesundheit vieler Kolleg*innen (TFA und Tierärzt*innen) begleitet schon lange meinen Alltag.

Dorothee Köstler ist Ersthelferin für mentale Gesundheit.
Akzeptanz im Team
Als ich über eine Kollegin von der Ausbildung zum TeamSupport Mental Health erfahren habe, wurde mein Interesse sofort geweckt. In unserem Team wird viel Wert darauf gelegt, dass die Mitarbeiter*innen gehört werden und glücklich bei ihrer Arbeit sind. So bekam ich auch direkt die Zusage, diese Ausbildung zu absolvieren und fand es spannend, mich in einem ganz anderen Feld weiterzubilden. Gerade für TFA ist das TeamSupport Mental Health Programm eine großartige Möglichkeit, sich außergewöhnliches Wissen anzueignen und eine wichtige Rolle im Team einzunehmen.
Ich hatte schon immer ein offenes Ohr für meine Kolleg*innen, aber gerade für Neuankömmlinge oder Azubis ist es wichtig zu wissen, dass es da jemanden gibt, an den man sich wenden kann. Azubis oder Berufseinsteiger*innen sind oft überfordert und haben Angst Fehler zu machen. Auch in meinem Team tragen persönliche Erlebnisse, Stress oder Krankheit manchmal zu einer schlechten Verfassung bei, die sich natürlich auf den Berufsalltag ausbreitet. Das ist normal, finde ich. Wichtig ist nur, dass ein gutes Klima herrscht und sich niemand allein gelassen fühlt.
Was bringt die Zukunft?
Ich denke, dass in vielen tierärztlichen Teams immer noch der Gedanke herrscht, dass eine Mental Health Fortbildung nicht nötig ist, da sie kein medizinisches Fachwissen über die tägliche Arbeit am Patienten enthält. Noch wird viel Wert auf Weiterbildungen gelegt, die einen Mehrwert für die Behandlung am Tier erbringt. Mit dem Bewusstsein, dass ein mental gesundes Team zuverlässigere Arbeit und damit auch mehr Leistung erbringen kann, wird es hoffentlich ein Umdenken geben. Bei einem Team mit 10 Personen ist es ratsam, mindestens eine/n Ersthelfer*in zu haben, ab mehr als 10 Personen sollte es 2 oder mehr Ersthelfer*innen geben.
Mein Wunsch ist, dass es bald deutlich mehr Ersthelfer*innen für mentale Gesundheit in den tierärztlichen Teams geben wird. Wir könnten so das Tabu mindern, über psychische Belastungen zu sprechen und generell für das Thema sensibilisieren. Viele Situationen, die uns in unserem Berufsalltag begleiten, brauchen Gehör und Einfühlungsvermögen anderer Mitarbeiter*innen. Zugleich finde ich es wichtig, dass man sich Fachwissen über verschiedene psychische Erkrankungen aneignet, um besser mit eventuell erkrankten Kolleg*innen umgehen zu können und feinfühlig auf Veränderungen zu reagieren.
Kommunikation pflegen!
Als Unterstützung meiner Arbeit im Team haben wir einen Kummerkasten eingeführt und meine Rolle in einem Teammeeting besprochen, damit das Team weiß, wie es mich erreichen kann. Mir liegt sehr viel an einem offenen Miteinander im Team, denn psychische Belastungen von Kolleg*innen haben mir nicht selten Kopfzerbrechen bereitet. Oft fehlte mir dann die richtige Umgangsweise und auch die Idee, wie man Themen bespricht, ohne die Grenzen der anderen Person zu verletzen. Dank der Ausbildung zur Ersthelferin, kann ich nun sicherer auf betroffene Kolleg*innen zugehen und Ihnen mit erlernten Bausteinen Hilfe bei Problemen anbieten. Ich habe gelernt, dass es wichtig ist, keine Angst vor dem Ansprechen zu haben. Es hilft schon ungemein viel, in einem geschützten Umfeld zu reden und – wenn nötig – Ermutigung für professionelle Hilfe auszusprechen.
Der Originalbeitrag zum Nachlesen:
Köstler D. Die TFA als Ersthelferin für mentale Gesundheit. team.konkret 2024; 20(02): 26 - 27. doi:10.1055/a-2299-7232
(JD)