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Reisen und UrlaubAutofahrten mit dem Hund nur mit Übelkeit - was hilft gegen Kinetose?

Kinetose oder auch Reiseübelkeit gehört bei vielen Hundebesitzer*innen und ihren Vierbeinern zum Alltag. Doch wie werden die gemeinsamen Autofahrten wieder entspannter?

Inhalt
Eva/stock.adobe.com

Bei vielen Hunden ist die Reiseübelkeit oder auch Kinetose ein häufiges Problem. Jedoch standen in der Vergangenheit nur wenige und zudem unbefriedigende Behandlungsmethoden zur Verfügung. Hinzu kommt, dass nur etwa 3% der betroffenen Hundehalter ihren Tierarzt um Hilfe fragen. Doch jetzt wird dem praktizierenden Tierarzt endlich eine Möglichkeit an die Hand gegeben, mit der nicht nur die Behandlung der Kinetose zu befriedigenden Ergebnissen führt, sondern die auch bei weiteren Indikationen, die mit Erbrechen einhergehen, sowie in der Prophylaxe einen hohen Stellenwert einnimmt.

Kinetose – Was ist das?

Kinetose entsteht, wenn es beim Transport des Hundes in einem Fahrzeug in der Sensorik des Tierkörpers zu einer widersprüchlichen Verarbeitung von Informationen über Lage und Bewegung im Raum kommt. Bei der Erregungsleitung aus den afferenten Neuronen von Auge, Innenohr und Mechanorezeptoren aus Haut und Skelettmuskulatur zeigen sich verschiedene Konflikte mit der Querbewegung und Beschleunigung beziehungsweise Verzögerung des Autos. Eine Abweichung entsteht zum Beispiel zwischen den über die Augen aufgenommenen Informationen und dem Gleichgewichtssystem im Innenohr. Die Reize werden vom Brechzentrum im Hirnstamm, bestehend aus der Area postrema, dem Nucleus tractus solitarii sowie dem dorsalen Vaguskern, verarbeitet. Eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Übelkeit und des resultierenden Erbrechens spielt hierbei die Substanz P, ein Neuropeptid aus der Familie der Tachykinine, das unter anderem im Brechzentrum und im Gastrointestinaltrakt vorkommt. Die Substanz P wird in Neuronen und Leukozyten gebildet.

Zunächst wurde die Substanz P als Neurotransmitter bei Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) und schmerzleitenden Fasern angesehen. Bei Erregung eines Nozizeptors kommt es zur Freisetzung von der Substanz P. Sie spielt aber auch als Modulator beim Entzündungsgeschehen eine wichtige Rolle und wirkt auf Blutgefäße dilatierend und steigert die Gefäßpermeabilität. Unklar ist jedoch der Sinn des Erbrechens im Zusammenhang mit der Erkrankung, denn normalerweise dient Erbrechen als Schutzreaktion nach der Aufnahme von toxischen Substanzen, Fremdkörpern oder zur Entlastung bei einer Magenüberladung. Es kann vom Hund nicht unterdrückt werden, wenn die durch die Übelkeit verursachte Kettenreaktion eine bestimmte Schwelle einmal überschritten hat.

Leidensdruck bei Mensch und Hund groß

Eine häufige Wiederholung der gleichen Bedingungen kann beim instinktgesteuerten Hund dann entweder zu einer Art Trainingseffekt führen, wenn er sich mit zunehmendem Alter an die Fremdbewegungen adaptiert, oder dafür sorgen, dass es zu einem Fortschreiten der Unsicherheit und Erwartungsangst bis hin zur Panik des Tieres mit unkontrolliertem Speichelfluss, Urin- und Kotabsatz, dauerhafter Nervosität und Verhaltensstörungen kommt und der Leidensdruck für Mensch und Hund proportional steigt. Gerade in der Urlaubszeit ist Reisekrankheit ein ernstes Problem, das den Stress während der Fahrt derart erhöhen kann, dass zahlreiche Hundehalter in die Konfliktsituation geraten, entweder das vierbeinige Familienmitglied gar nicht erst mitzunehmen oder entnervt am Urlaubsort anzukommen und selbst eine negative Erwartungshaltung vor größeren Autofahrten mit Hund zu entwickeln.

Standard bei Welpen und abhängig von der Agilität?

Bei Welpen und Junghunden ist Reisekrankheit ein Standardproblem. Das erste Auftreten wird von vielen Besitzern bereits nach der Abholung vom Züchter berichtet. Bei erwachsenen Hunden ist etwa jedes 6. Tier mehr oder weniger stark betroffen. Hierbei ist die Heftigkeit häufig von Faktoren wie allgemeiner Nervosität und Agilität abhängig. Hunde, die sich als auffällig nervös und hyperagil zeigen, neigen oft auch zu deutlich stärkeren Kinetosezeichen als ruhige phlegmatische Tiere.

Diagnose - Ausschluss oder gezielt?

Die Diagnose ist anhand der typischen Symptome wie vermehrter Speichelfluss, Übelkeit, Unruhe, Angst, Zittern und Erbrechen zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Antreten der Reise (Autofahrt) leicht zu stellen. Dabei sollte jeder Hundebesitzer auf bestimmte Anzeichen achten.

Beim Tierarzt sollten folgende Punkte für die eindeutige Diagnose erfasst werden:

  • allgemeine Angaben wie Alter, Geschlecht, Rasse
  • Vorerkrankungen und vorangegangene Operationen
  • Dauermedikationen bei chronischen Organerkrankungen
  • bisher angewandte Maßnahmen gegen Reisekrankheit
  • Zeitpunkt, ab dem Symptome während des Transports auftreten
  • Transportumstände wie Hundebox, Lagerung, Sichtverhältnisse
  • Fütterungsgewohnheiten
  • Stressbelastung des Hundes vor Reiseantritt

Häufig verhält es sich mit der Symptomatik bei Welpen und Junghunden genauso wie bei Menschen. Das heißt, es kommt mit zunehmendem Alter, fortschreitender Entwicklung und Erfahrung im Umgang mit auslösenden Situationen zum Abklingen der Beschwerden. Die echte Kinetose allerdings manifestiert sich auch beim erwachsenen Hund und wird zum Dauerproblem für Hund und Halter.

Beruhigungsmittel sinnvoll?

In zahlreichen Gesprächen mit Hundehaltern fällt auf, dass es deutliche Unsicherheiten im Umgang mit der Kinetose gibt. In der Beratung zeigt sich, dass die Besitzer häufig aus Unkenntnis modernerer Wirkstoffe nach „Beruhigungsmitteln” fragen, obwohl eigentlich klar sein sollte, dass – wenn der Hund die Reise in einer Art Dämmerzustand verbringt – sowohl die Flüssigkeits- und Futteraufnahme als auch Harn- und Kotabsatz während der Fahrt deutlich beeinträchtigt sind. Das hat nicht zu unterschätzende Nachteile für die Gesundheit und das allgemeine Wohlbefinden zur Folge!

Ein weiterer Nachteil liegt in der Dosierung verschiedener Neuroleptika und in deren Halbwertszeit. Bei einer zu schwachen Dosis kann der antiemetische Effekt ganz ausbleiben und der Hund gerät durch das subjektive Gefühl der jeweiligen Beeinträchtigung in Unruhe oder Angst. Wenn die Dosis im oberen Bereich gewählt wurde, ist oft noch am nächsten Tag mit mehr oder weniger deutlicher Beeinträchtigung des Hundes zu rechnen.

Verhaltenstherapie – Eine Chance?

Eine durchschnittliche Familie mit Kindern, die eine Urlaubsreise mit Hund ins Ausland antreten möchte, ist mit einem kinetoseempfindlichen Hund stark belastet und daher muss Reisekrankheit, wenn sie sich nicht im zunehmenden Alter langsam entspannt, regelrecht als eine Art Behinderung beim Hund angesehen und genau deshalb behandelt werden. Da viele Menschen ebenfalls unter Kinetose leiden, sei es nun in Form von Seekrankheit oder der Übelkeit und dem Schwindel bei der Nutzung von Achterbahnen oder bei Flugreisen, können sie sich als Hundebesitzer oftmals gut in das Empfinden und die Situation ihrer Tiere einfühlen, wenn man es ihnen plastisch verdeutlicht.

Im einfachsten Fall können Besitzer betroffener Hunde schon im Welpenalter versuchen, durch vorsichtig aufbauendes Training eine Adaptation des Hundes an die Fahrsituation zu erreichen. Anfangs sollte das Auto, ohne bewegt zu werden, in spielerische Situationen einbezogen werden, damit sich die Erwartungsangst legt. Zu Beginn des Fahrtrainings sollten kurze Strecken zurückgelegt werden, die dann langsam immer mehr verlängert werden. Dabei ist darauf zu achten, dass der Hund seine Umgebung durch die Fenster des Wagens gut sehen kann. Daher sollte bei reisekranken Hunden auf den Transport in allseits sichtdichten Behältnissen unbedingt verzichtet werden. Ein solches Training ist sehr zeitintensiv und wird leider oft von Rückschlägen begleitet.

Medikamentelle Therapieoptionen

Hunde, die regelmäßig medikamentös gegen Reisekrankheit behandelt werden, verlieren meist nach einiger Zeit auch die Erwartungsangst bei Reiseantritt. Damit unterbleibt nicht nur das Erbrechen, sondern auch lästige Begleiterscheinungen wie der unruhebedingte Harn- oder Kotabsatz und die Lautäußerungen und das ständige Hecheln als Zeichen der Nervosität. Das Reisen wird bei erfolgreicher, regelmäßiger Therapie für Hund und Besitzer mit der Zeit immer entspannter.

Einige klassische Wirkstoffe werden zur oralen Prophylaxe der Kinetose genutzt. Dazu zählen unter anderen Acepromacin, Metoclopramid, Ondansetron und Dimenhydrinat.

Acepromacin ist ein Phenothiacinderivat und wirkt als Neurolepticum sedierend und zentral antiemetisch. Nach oraler Verabreichung entwickelt sich die höchste Plasmakonzentration nach etwa drei Stunden. Die Wahrnehmung und das Reaktionsvermögen werden unterschiedlich stark beeinträchtigt. Die Wirkdauer ist von der Konstitution und vor allem von Unterschieden in der rasseabhängigen Sensibilität abhängig. Von den Herstellern wird daher eine große Dosisbreite angegeben und die Anwendung sollte unbedingt in einer Situation zuhause ohne Reisehintergrund erprobt werden, um die optimale Dosis-Wirkungsleistung zu ermitteln. Es findet als weitere Indikation Anwendung in der Anxiolyse bei Gewitter und sonstiger Geräuscheinwirkung auf den Hund wie zum Beispiel das Silvesterfeuerwerk.

Metoclopramid (MCP) ist ein Dopamin-Antagonist und verdrängt somit einen emetisch wirkenden Transmitter und bindet auch an 5-HT3-Rezeptoren, welche zur Auslösung des Brechreflexes dienen. MCP erreicht seine maximale Plasmakonzentration 30–120 Minuten nach Eingabe. MCP wird auch als Gastrokineticum eingesetzt, um bei entsprechenden Verdauungsstörungen eine beschleunigte Magenpassage zu erreichen.

Ondansetron entstammt der Gruppe der Setrone und hemmt selektiv die Wirkung von Serotonin am 5-HT3-Rezeptor. Antiemetisch mit maximalem Plasmaspiegel etwa 90 Minuten nach oraler Gabe. Während Ondansetron einen guten allgemein antiemetischen Effekt hat, ist die Wirkung wegen der Rezeptoraffinität bei Reisekrankheit geringer.

Dimenhydrinat bindet an H1-Rezeptoren und besteht aus Diphenhydramin, ein anticholinerger, antiallergischer Wirkstoff aus der Gruppe der Antihistaminika, und Chlortheophyllin, um die sedierende Wirkung des Antihistaminikums geringer zu halten. Der höchste Plasmaspiegel wird nach etwa 1-2 Stunden bei oraler Aufnahme erreicht. Typische anticholinerge Begleiterscheinungen treten in Form von Schleimhauttrockenheit und einer Herzfrequenzerhöhung auf.

Maropitant wirkt als funktionaler Antagonist von Substanz P am Brechzentrum und bindet selektiv an den NK1-Rezeptor. Damit werden das Erbrechen und die Übelkeit über einen Zeitraum von mindestens 12 Stunden ausgeschaltet. Der Wirkstoff ist nicht nur in der symptomatischen Therapie von Erbrechen etabliert, sondern hat auch eine nachgewiesene Wirksamkeit zur Vorbeugung von Erbrechen durch Reisekrankheit bei Hunden. Die maximale Plasmakonzentration ist etwa 1-2 Stunden nach oraler Aufnahme erreicht.

Was sollte ein Antiemetikum können?

Ein Wirkstoff gegen Erbrechen sollte neben einer einfachen Dosierbarkeit gut verträglich sein und eine hohe Therapiesicherheit bieten. Dazu gehört auch eine lange Halbwertszeit, damit, je nach Indikation, keine häufige Nachdosierung durchgeführt werden muss. Neben dem antiemetischen Effekt sollte es nicht zu einer stärkeren sedierenden Wirkung kommen, damit der behandelte Hund seine natürlichen Reaktionen während der Therapiedauer nicht einbüßt, die Futter- und Wasseraufnahme ungestört sind und ein normaler Umgang mit dem Tier ohne Einschränkungen möglich ist.

In verschiedenen Feldstudien sind antiemetische Wirkstoffe und ihre Wirksamkeit gegen zentrale und periphere Erbrechensstimuli gegeneinander verglichen worden. Am Beispiel von Maropitant, Metoclopramid und Ondansetron zeigte sich, dass Metroclopramid stark wirksam bei zentralen, aber nur schwach bei peripheren Stimuli wirkt. Ondansetron hat eine bessere Wirkung bei peripheren Stimuli, zeigt aber bei den zentralen Auslösern Schwächen. Maropitant ist bei beiden Auslösern gleichermaßen hoch wirksam und bietet zusätzlich mit einer Wirksamkeit von 24 Stunden die höchste Therapiesicherheit. Des Weiteren zeigte sich in einer weiteren Placebo-kontrollierten Studie mit 374 von Reisekrankheit betroffenen Hunden, dass bei einer Gabe von 8 mg Maropitant/kg Körpergewicht mit Futter 1 Stunde vor Reiseantritt bei 86 % der Tiere das Erbrechen verhindert wurde. 2 Stunden vor der Fahrt lag die Rate bei 93 % und 10 Stunden vorher immer noch bei 84 %. Aufgrund der rein antiemetischen Wirkweise kommt es zu keinem sedierenden Effekt und das Sensorium bleibt unbeeinflusst. In einer dritten Studie zu Anwendererfahrungen wurden 7.500 Hunde mit unterschiedlichen Indikationen zu Übelkeit und Erbrechen behandelt. Hierbei wurde zwischen Reisekrankheit, unkomplizierten Verdauungsstörungen und darüberhinausgehenden Erkrankungen mit höheren Schweregraden unterschieden.

In die Studien einbezogen wurden neben der Kinetose weitere Ursachen für Erbrechen und damit auch weitere Indikationen. Auffallend ist, dass Maropitant gegenüber anderen Wirkstoffen zahlreiche Vorteile bringt. Es ist nach gründlicher klinischer Untersuchung gegen jede Form des Erbrechens anwendbar. Neben der Reisekrankheit also auch zum Beispiel gegen Unverträglichkeitsreaktionen oder emetischen Komplikationen bei anderen Therapien. Hierzu zählen Antibiotikatherapien, Chemotherapien und die Anwendung anderer Medikamente wie zum Beispiel bei der Behandlung gegen von Zecken übertragbare Krankheiten (Babesiose).

Antiemetikum – Wichtiger Bestandteil einer jeden Reiseapotheke?

Ein Antiemetikum gehört genauso wie ein Schmerzmittel, Durchfallmittel, Desinfektionsmittel oder Verbandsstoffe als Standard in jede private Hundeapotheke. Es kann vom Hundehalter in Eigenregie sowohl prophylaktisch bei Reisekrankheit als auch therapeutisch bei Auftreten von Erbrechen im Urlaub zum Beispiel an der See nach Aufnahme von Salzwasser oder anderen ungefährlichen Auslösern von Erbrechen eingesetzt werden. Der Besitzer muss darüber aufgeklärt werden, den Wirkstoff nicht leichtfertig zu verwenden und Risiken abzuwägen, ob das Erbrechen je nach Ursache nicht die ungefährlichere Variante ist.

Fazit

Die Reiseübelkeit erst dann zu behandeln, wenn sie tatsächlich vorliegt, hat keine Vorteile gegenüber einer präventiven Therapie. Im Gegenteil ist es effektiver, der Kinetose medikamentös vorzubeugen, als bereits vorhandene Symptome zu behandeln. Wenn also eine Reise mit Autofahrt geplant ist und der Hund zu den „reisekranken” Hunden zählt, ist die Verabreichung eines vorbeugenden Medikaments die beste Lösung: Der Hund wird sich besser fühlen und sowohl Mensch, als auch Tier können die Reise genießen. Dafür sollte Besitzer*innen sich nicht scheuen ihren Tierarzt zu fragen und sich von diesem beraten zu lassen.

Quellen (nach Angaben von):

Die Reisekrankheit (Kinetose) des Hundes – ein ungelöstes Problem?. kleintier konkret 2011; 14(03): 3 - 6. DOI: 10.1055/s-0031-1275576.
TierarztBLOG.com (27.06.2011). "Reiseübelkeit beim Hund". Im Internet: TierarztBLOG.com » Reiseübelkeit beim Hund. 23.06.2022