Beziehungsarbeit tut Not
Mehr und mehr gewinnt es an Popularität, die Praxisabläufe so zu gestalten, dass dem Hund-Halter-Gespann unnötiger Stress weitgehend erspart wird. Vor allem bei planbaren Terminen gelingt dies häufig gut. Trotz aller Vorteile, die sich hierdurch ergeben, stellen verbesserte Prozessabläufe aber dennoch nur die halbe Miete dar. Dies liegt vorrangig daran, dass sich die meisten Planungsaspekte inhaltlich auf die Abläufe (z. B. Terminplanung, Vermeidung von Staus in den Gängen, etc.) beziehen, die der eigentlichen Untersuchungs- bzw. Behandlungssituation vorangestellt sind, und nicht auf die Beziehung zwischen Halter und Tier.
Nutzen darstellen
In der Klientel finden sich Hundehalter, die ihren Hund vorausschauend und für alle Beteiligten rücksichtsvoll führen und andere, die teils offenkundige Schwierigkeiten mit dem Hund haben, die kaum in verlässlicher Art Einfluss auf das Verhalten des Hundes nehmen (können) oder die ihren Hund nicht anleiten und führen, sondern ihn einfach machen lassen, was er gerade möchte. Für ein effektives Kooperationstraining gilt daher: den Tierhalter mit ins Boot zu holen. Denn „nur“ für einen harmonischeren Ablauf in der Tierarztpraxis sind sehr wenige Hundehalter bereit, Trainingsmühe zu investieren. Ein Besitzer kann am besten mit dem Nutzen überzeugt werden, den er selbst durch das Training bekommt, z. B.:
- wenn das Tier mit den Inhalten des Kooperationstrainings vertraut ist, kann es auch in einer Notfallsituation problemlos versorgt werden,
- insgesamt wird die Stresslast des Hundes in Bezug auf Pflege- und Behandlungsmaßnahmen erheblich gesenkt,
- das Training macht dem Hund großen Spaß, wenn es kleinschrittig und belohnungsbasiert aufgebaut ist,
- die Trainingsinhalte bedeuten keine „Extrazeit“, sie können im Alltag eingebunden oder in der Funktion einer Beschäftigungsmaßnahme umgesetzt werden
Und es gibt einen zusätzlichen Bonus-Aspekt: Übungen, in denen der Hund für seine Mitarbeit (Kooperation) Anerkennung von seinem Halter erfährt, stärken das Vertrauen und intensivieren das gesamte Verhältnis. Hierdurch wird auch in anderen Situationen die Führung des Hundes erleichtert.
Freiwilligkeit trumpft
Häufig steigt alleine aufgrund der Tatsache, dass der Hund in die Praxis oder in das Behandlungszimmer „gezwungen wurde“, der Stresslevel des Hund-Halter-Teams ganz erheblich, und der Hund erlebt diesen Zwang als unangenehm. Zusätzlich werden auch Unsicherheiten und Ängste geschürt, denn viele Hunde wissen aus Erfahrung, dass dem Zwang meist nichts Gutes folgt. Denn in spaßigen oder angenehmen Situationen wurden sie noch nie mit Ziehen und Zerren zu etwas gezwungen. Aber auch der Tierhalter ist manchmal schon bereits ab dem ersten Moment „fertig“, weil die Aktion ihn an die Grenze seiner Kräfte gebracht hat, weil ihm das Gebaren seines Hundes peinlich ist oder er sich über mangelnden Gehorsam des Tieres ärgert.
Wer führt, wer folgt?
Will der Hund nicht in die Praxis, gibt es einen einfachen, zwanglosen Trick: Jemand aus dem Praxisteam positioniert sich (ohne Bedrängen) hinter dem Hund-Halter-Team, übernimmt vom Halter die Hundeleine und bittet diesen dann, den Hund freundlich anzusprechen und ein paar Schritte (in die Praxis/in das Behandlungszimmer) vorzugehen. Jetzt hat der Hund die Wahl: in einer ihm immer noch unheimlich vorkommenden Situation bei einer ihm nicht vertrauten Person zu bleiben oder lieber seinem Halter zu folgen, bei dem er sich (hoffentlich!) sicher und geborgen fühlt. Entschließt er sich für Letzteres, sollte er ein anerkennendes Lob oder sogar eine Belohnung erhalten.
Merke
Für alle Maßnahmen an der Leine gilt: Halsband und Geschirr müssen sicher und fest sitzen!
Zu Tisch!
Freiwilligkeit spielt auch bei allen anderen Maßnahmen eine wichtige Rolle, die während einer Untersuchung oder Behandlung umgesetzt werden müssen. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Aufenthalt auf dem Behandlungstisch. Wird dieser vom Hund nicht freiwillig und eigenständig betreten, weil er beispielsweise gehoben wurde, sind die Weichen in vielen Fällen bereits auf Stress eingestellt. Analog zu dem „Hineingezerrt-Werden“, empfinden erfahrungsgemäß sehr viele Hunde das Heben als bedrohlich und in manchen Fällen auch als schmerzhaft. Abhilfe kann hier über verschiedene Wege geschaffen werden:
- Absenken des Tisches und freiwilliges Aufsteigenlassen des Hundes (Abb. 1),
- Einsatz einer breiten Rampe (inkl. begleitetem Führen auf den Behandlungstisch),
- Vertrautmachen mit dem Hochheben
Das Hochheben sollte der Tierhalter zunächst zuhause üben, wenn der Hund sich wohlfühlt. Bewährt haben sich Übungsblocks, in denen die Maßnahme direkt mehrfach hintereinander durchgespielt wird. Wichtig ist, dass der Hund jeweils direkt nach dem Heben und Abstellen auf dem Tisch eine Belohnung erhält, sodass er eine positive Verknüpfung zum Gehoben-Werden herstellen kann.
Die Kooperationsmatte
Eine weitere Übung besteht darin, den Hund mit einer „Kooperationsmatte“ vertraut zu machen. Die erforderlichen Erklärungen sollten dem Tierhalter bei der Konsultation, als Praxis-Handout oder auch im Rahmen einer Gruppen-Übungsstunde vermittelt werden, damit er zuhause üben kann.
Die Kooperationsmatte dient dazu, einen Ort des Vertrauens zu erschaffen, denn häufig ängstigen die Behandlungsmaßnahmen den Hund. Vor allem, wenn der Hund schon schlechte Erfahrungen mit den jeweiligen Manipulationen gemacht hat, darf man zu Beginn der Übungen mit der Matte nicht zu viel erwarten. Jede kleine Regung des Hundes, sich der Situation freiwillig zu stellen, sollte umgehend belohnt werden. Zwei Dinge beschleunigen den teils erstaunlichen Erfolg dieser Übung: Je kleinschrittiger die einzelnen Schritte aufgebaut werden, desto zügiger kommt man letztendlich vorwärts, und je leckerer die Belohnungshäppchen sind, die in dieser Übung eingesetzt werden, desto positiver verknüpft der Hund die gesamte Szene.
Vertrauensübungen
Sucht man nach Gründen, weshalb Untersuchungs- und Behandlungssituationen die Hunde oftmals so belasten, wird schnell klar, dass ein ganz wesentlicher Faktor die mangelnde Vertrautheit mit den Details der „Tierarzt-Situation“ ist. Bei einigen Hunden wird diese mangelnde Vertrautheit zudem auch noch durch unangenehme Vorerfahrungen begleitet. Dies ist tatsächlich nur ein problemverschärfendes Beiwerk, die bei einem Hund, der nicht oder nicht ausreichend vertraut gemacht wurde, im negativen Sinne auf besonders fruchtbaren Boden fällt. Zur allgemeinen Entstressung sollten alle gängigen Handgriffe und andere Erfordernisse einer Untersuchungs-, Behandlungs- oder Pflegesituation dem Hund als ein ganz normales, harmloses und am besten von Grund auf angenehmes Geschehen verkauft werden. Dies gelingt am einfachsten in gestellten Übungssituationen als vorbereitende Prophylaxeübungen mit dem gesunden Hund. Ist der Hund schon mit einer Kooperationsmatte vertraut, macht es Sinn, diese Übungen auf eben diesem Untergrund umzusetzen.
Hilfsmittel, Berührungen & Co.
Hilfsmittel, die im Verlauf eines Hundelebens häufiger zum Einsatz kommen, sind der Maulkorb (bei der Behandlung/auf Reisen), ein Halskragen und Verbände aller Art. Ziel der häuslichen Übungen dazu ist, den Hund schrittweise auch an längere Tragezeiten dieser Hilfsmittel zu gewöhnen, sodass diese in einem Ernstfall ohne Stress und Ablehnung eingesetzt werden können.
Weitere Untersuchungs- und Behandlungsdetails, auf die der Hund im Rahmen eines solchen häuslichen Trainings mit Simulationen vorbereitet werden kann, sind:
- Ablesen der Chipnummer: Anlegen des Handys an die linke Halsseite des Hundes,
- Auskultation: Tupfen mit kleinem Gegenstand auf den Brustkorb des Hundes und „horchen“,
- Berührungen aller Art am Kopf, Hals, Rumpf, Schwanz und an den Beinen sowie zielgerichtete Berührungen und Manipulationen rund um das Maul (inkl. Zahnfleische), die Ohren, die Geschlechtsorgane, den Anus und die Pfoten bzw. Zehen (inkl. Daumenkralle/Wolfskrallen)
- Fiebermessen
- Konzentriertes „Anstarren“ einer imaginären Wunde
- Körperliche Ruhe zu halten, z. B., indem der Hund lernt, die Schnauze „wie festgenagelt“ ruhig auf einem Target-Objekt abzulegen.
Medikamenteneingabe
Es lohnt sich, auch die Medikamenteneingabe immer wieder als Prophylaxeübung durchzusprechen. Hierbei müssen natürlich keine Medikamente eingesetzt werden. Übungen zur Eingabe von Augentropfen können mit künstlicher Tränenflüssigkeit, zur Eingabe von Medikamenten mit Snackbällchen (in denen nur im Ernstfall das Arzneimittel versteckt wird) und zur Eingabe von Flüssigkeiten in die Schnauze mit ein wenig Fleischgeschmack versetztem Wasser durchgeführt werden.
Praxisbeispiel Augentropfen
Bei einem Hund, der sich bei der Applikation von Augentropfen unwillig verhält, wird die Übung zunächst in kleinste Schritte untergliedert, und er erhält nach jedem einzelnen der folgenden Trainingsschritte eine kleine Belohnung – wobei die Schritte mehrfach geübt werden sollen. Reif für eine Steigerung ist der Hund immer dann, wenn er keinerlei Abwehrverhalten (Meiden oder Drohen) zeigt, und stattdessen tendenziell eher der Belohnung entspannt und freudig entgegenfiebert.
Zu Beginn des Trainings geht es einzig um Berührungen mit den bloßen Händen am Kopf, anschließend darum, den Kopf einen kurzen Moment zu fixieren, dann ihn in einer für die Tropfeneingabe erforderlichen Position zu halten, danach um die Annäherung der Hand an den Kopf des Hundes, während in dieser nun ein Tropffläschchen gehalten wird, dann die Berührung des Kopfes mit dem Tropffläschchen in der Hand und so weiter und so fort.
Im Ernstfall
Ist der Hund beim Start der Übung bereits erkrankt und muss unfertig trainiert in die Praxis, steckt man im Arbeitsalltag natürlich in der Zwickmühle. Ist Eile geboten, fährt man am besten, wenn ein sehr ängstlicher und/oder aggressiv reagierender Hund (der ggf. mit Maulkorb gesichert werden muss) in der geringstmöglich belastenden Art professionell fixiert und anschließend weitgehend kommentarlos – zumindest aber ermahnungs- und straffrei behandelt wird – im Einzelfall ist auch eine Sedation zu erwägen. Wichtig ist in diesen Fällen ein nachträgliches Üben im privaten Bereich, um langfristig bessere Bedingungen für alle Beteiligten zu schaffen.
Motivationshilfen
Die Erfahrung zeigt, dass Tierhalter häufig sehr reserviert darauf reagieren, wenn man ihnen vorschlägt, den Hund „einfach nur so“ an verschiedene Hilfsmittel – vor allem aber an das Tragen eines Maulkorbs – zu gewöhnen. Hier kann ein Belohnungssystem helfen, die Motivation des Tierhalters zu steigern: Es können Futterproben oder andere attraktive Give-Aways eingesetzt werden, aber auch das Aufhängen von Fotos der Hunde, die erfolgreich an einem Training teilgenommen haben und nun in anschaulicher Art den Maulkorb, einen Halskragen oder einen Verband akzeptieren, wirken gut.
Merke
Was beim Hund wirkt, wirkt auch beim Menschen: Motivation durch Belohnung!
Übrigens reagieren viele Tierhalter sehr erfreut und dankbar, wenn man ihnen eine (kostenpflichtige!) Übungseinheit oder zumindest einen kleinschrittigen Trainingsplan anbietet. Die beobachtete Trainingsmuffeligkeit ist oft schlicht und ergreifend darauf zurückzuführen, dass das Wissen fehlt, wie die Übungen umgesetzt werden können. Allzu häufig hat der Tierhalter den Anspruch, gleich in den ersten Trainingssekunden einen vollständigen Durchbruch zu erzielen, da er gedanklich viel zu stark auf das Endziel der Übung fokussiert ist. Enttäuschungen sind da natürlich vorprogrammiert. Ist dem Tierhalter hingegen einmal anschaulich demonstriert worden, wie schnell Fortschritte bei einem wirklich kleinschrittigen Übungsaufbau zu erzielen sind, klappt meist alles wie am Schnürchen.
Fazit
Medical Training ist gerade in aller Munde. Auch in den sozialen Netzwerken machen teils ganz tolle Übungsbeispiele und anschauliche Trainingsvideos die Runde. Es lohnt sich sehr, im Rahmen der täglichen Arbeit in der Kleintierpraxis auf diesen Zug aufzuspringen – schließlich gilt, dass es (inklusive des Hundes) wirklich allen Beteiligten besser geht, wenn sich unsere Hundepatienten in der Praxis und speziell während der Untersuchung und Behandlung kooperativ und entspannt verhalten.
Der Originalartikel ist erschienen in:
del Amo, C. Kooperationstraining für Hunde. team konkret 2019; 15: 7–11. DOI doi.org/10.1055/a-0816-2274