Altern ist ein individueller Prozess
Bei unseren Hunden und Katzen, die heutzutage im Vergleich zu früher aufgrund verbesserter Ernährungs- und Haltungsbedingungen älter werden, verlängert sich mit der höheren Lebenserwartung auch die Phase des Älterwerdens. Der Alterungsprozess bei Hund und Katze unterliegt dabei nicht nur wie beim Menschen individuellen Besonderheiten (Ernährung, Haltungsbedingungen, genetische Veranlagung etc.), sondern auch einem rasseabhängigen Einfluss. Die Alterspyramide einer Rasse ist oft mit einer genetisch fixierten Körpergröße korreliert, die wiederum von metabolischen Vorgängen (z. B. Wachstumshormon) abhängt.
Alterserscheinungen bei Hund und Katze
Typische Alterserscheinungen bei Hund und Katze betreffen augenfällig das Haarkleid (vor allem beim Hund in Form von Haarausfall und Verfärbung/Ergrauung, insgesamt verlieren die Gewebe und Organe nach und nach ihre Funktions- und Reparationsfähigkeit. Zugrunde liegen diesen Veränderungen altersabhängige Mutationen in der mitochondrialen DNA, die im Alter so weit fortschreiten, dass der Vorgang der Apoptose – das ist der programmierte Zelltod – eingeleitet wird. Wann der Alterungsprozess definitiv einsetzt, hängt von Rasse, Geschlecht, individueller Veranlagung und familiären Voraussetzungen, Haltung und Pflege ab.
Veränderungen der Gewebe
Altersbedingte Gewebeveränderungen sind durch eine prozentuale Erhöhung des Fettgewebsanteils bei gleichzeitiger Reduktion der Muskelmasse gekennzeichnet. Die Zellen erleiden vermehrt DNA-Schäden, es entwickeln sich Fibrosen bzw. Elastizitätsverlust und Degeneration. Hieraus resultiert eine reduzierte Funktion vor allem von Niere, Leber, Herz, Gehirn, Sinnesorganen sowie der endokrinen Organe. Auch das Immunsystem unterliegt einer Veränderung, die Folge ist unter anderem ein erhöhtes Tumorrisiko. Arthrosen und Arzneimittelunverträglichkeiten nehmen ebenfalls zu.
Die Rolle der Telomere im Alterungsprozess
Telomere sind Strukturelemente der DNA an den Chromosomenenden. Sie bestehen aus spezifischen repetitiven Sequenzen und spielen eine wesentliche Rolle bei der Alterung der Zelle und auch des Individuums. Untersuchungen an verschiedenen Hunderassen haben gezeigt, dass die durchschnittliche Lebenserwartung einer Rasse mit der Telomerlänge korreliert, und außerdem wurde sowohl für den Menschen als auch für verschiedene Tierarten ein Zusammenhang zwischen bestimmten Stressfaktoren und der Telomer-assoziierten Zellalterung nachgewiesen. Mit molekularbiologischen Methoden (Telomerase-Messung) kann heute über die konventionellen klinisch-labordiagnostischen Methoden hinaus das individuelle Alter eingeschätzt und die durchschnittliche Lebenserwartung einer Rasse bestimmt werden.
Früherkennung von Altersleiden
Das Altern als solches kann nicht verhindert, wohl aber durch verschiedene Maßnahmen erträglicher gestaltet und verlangsamt werden. Ein frühzeitiges Erkennen altersspezifischer Erkrankungen kann Leiden vermindern und lebensverlängernd sein. Auf diesen Überlegungen basiert ein „Alters-Check“ auch für Hund und Katze.
Einschätzung des biologischen Alters
Zur Einschätzung des Alters werden verschiedene Aspekte herangezogen. Wichtiger als das biografische Alter (d. h. das Alter in Lebensjahren) ist das biologische Alter, das den Gesundheitszustand des Individuums im Vergleich zum Durchschnitt der Population beschreibt. Wichtige Faktoren in dieser Betrachtung sind die Rasse und das Gewicht – grundsätzlich ist bei kleinen, leichten Hunden dabei von einer höheren Lebenserwartung auszugehen als bei großen, schweren Hunden.
Altersberechnung bei Hund und Katze
Der Vergleich mit dem Menschen erleichtert die Beurteilung des biologischen Alters. Nach der Weltgesundheitsorganisation WHO gelten Menschen ab einem Lebensalter von 65 Jahren als alt.
1. Hund < 15 kg (alt = 12 Jahre)
- 1. Lebensjahr: ca. 20 Menschenjahre
- 2. Lebensjahr: ca. 8 Menschenjahre
- 3.–15. Lebensjahr: jeweils 4 Menschenjahre
2. Hund 15–45 kg (alt = 8–10 Jahre)
- 1. Lebensjahr: ca. 18 Menschenjahre
- 2. Lebensjahr: ca. 9 Menschenjahre
- 3.–15. Lebensjahr: jeweils 6 Menschenjahre
3. Hund > 45 kg (alt = 6–8 Jahre)
- 1. Lebensjahr: ca. 13 Menschenjahre
- 2. –15. Lebensjahr: jeweils 9 Menschenjahre
4. Katze (alt > 10 Jahre)
- 1. Lebensjahr: ca. 15 Menschenjahre
- 2.–3. Lebensjahr: jeweils ca. 6 Jahre
- 4.–20. Lebensjahr: jeweils ca. 4 Jahre
Altersbeschwerden oder Krankheit?
Grundsätzlich bedeutet Alter zunächst einmal nicht Krankheit, sondern es entwickelt sich ein Zustand mit verminderter Organreservekapazität und Organfunktion. Dies geschieht in der Regel nicht isoliert an einem einzelnen Organ, sondern das Typische bei altersbedingten Erkrankungen ist die Multimorbidität. Daher gilt besonders beim alten Tier die Regel, den gesamten Patienten zu betrachten. Der alte Patient zeigt sich weniger stress- und belastungsresistent, teilweise ist die Metabolisierung von pharmakologischen Substanzen reduziert, und eine verminderte Leistung des Immunsystems macht den Organismus anfälliger für Infektionen und Tumorerkrankungen.
Alters-Checks zur Früherkennung von Erkrankungen
Da Hunde- und Katzenhalter oft nicht zwischen „normalen“ altersbedingten Veränderungen und behandlungsbedürftigen Erkrankungen unterscheiden können, kommt einer routinemäßigen, dem Einzelfall angepassten klinischen und labordiagnostischen Untersuchung eine wichtige Bedeutung zu. Dieser Alters-Check dient dem Ziel, durch Erkennung von Erkrankungen im frühen Stadium sowie Beratung des Tierbesitzers auf die Belange und Bedürfnisse eines älter werdenden Individuums einzugehen, und mit dieser Prophylaxe nicht erst auf bereits manifeste Leiden zu reagieren, um diese zu lindern, sondern präventivmedizinisch einen Vorsprung zu erlangen.
Organsysteme im Fokus
Der Alters-Check beinhaltet an vorderster Stelle die regelmäßige körperliche Untersuchung (klinische Allgemeinuntersuchung), um eine Übersicht über den gesamten Patienten zu erhalten. Die Betonung der Untersuchung liegt auf den Organsystemen:
- Herz-Kreislauf, Lunge
- Harnapparat
- Bewegungsapparat
- Nervensystem
- Gesäuge, Hoden (Tumorvorsorge)
- Stoffwechsel
- Zähne
- Augen
- Ohren (Hörfähigkeit)
mit den dazugehörigen ausgewählten technischen bzw. labordiagnostischen Verfahren.
Wichtige Aussagen über den allgemeinen Zustand des alten Patienten geben aber auch das Haarkleid und der Ernährungszustand.
Wann ist ein Alters-Check zu empfehlen?
Der Alters-Check empfiehlt sich beim älteren Tier:
- Rasseabhängig 1–2 × jährlich ab einem Alter von 8–10 Jahren. Je nach Befund kann ein engerer Untersuchungszyklus notwendig sein.
- Bei unspezifischen Beschwerden, über die der Tierhalter besorgt ist.
- Vor der Verordnung von Medikamenten, die eine ungestörte Funktion von Leber und Niere erfordern.
- Vor einer geplanten oder nicht geplanten Operation mit Narkose.
Am besten ist es, den Alters-Check mit der Schutzimpfung und/oder dem Entwurmen, bzw. der Ektoparasitenprophylaxe zu verbinden. Beginn und Art des Alters-Checks sind abhängig von der Tierart (Hund/Katze), der Rasse, der individuellen Konstitution (z. B. chronische Erkrankungen), dem Geschlecht, dem Gebrauchszweck sowie der Compliance des Tierbesitzers (Beratung).
Ziele der Vorsorgeuntersuchungen
- die Erhebung von Basisbefunden durch eine klinische Allgemeinuntersuchung, ggf. ergänzt durch z. B. Herzultraschall, klinisch-chemische und hämatologische Untersuchungen,
- die Erkennung von Symptomen altersbedingter Erkrankungen, dadurch die Möglichkeit einer frühzeitigen Diagnose und frühzeitigen Behandlung,
- die Erkennung von Risikofaktoren bei Haltung, Pflege und Fütterung,
- das Vorbeugen von kognitiven Defiziten bzw. Erhalt der geistigen Leistungsfähigkeit.
Der Patientenbesitzer kann und sollte anhand der Ergebnisse des Alters-Checks ausführlich zur Ernährung, Bewegung, Haltung, Risikofaktoren und Medikamentenverträglichkeit beraten werden.
Untersuchungen im Rahmen des Alters-Checks
Der routinemäßige Alters-Check beinhaltet eine ausführliche Anamnese, klinische Allgemeinuntersuchung und Untersuchung verschiedener Organsysteme sowie Labordiagnostik.
Anamnese und klinische Untersuchung im Rahmen des Alters-Checks
- Ausführliche Anamnese anhand einer speziellen Checkliste
- Klinische Allgemeinuntersuchung mit Wiegen
- Zähne und Mundhöhle
- Ophthalmoskopie und Otoskopie
- Präputium und Rektaluntersuchung beim Rüden
- Gesäuge und Vulva bei der Kätzin und Hündin
- Palpation der Schilddrüse bei der Katze
- Kurze neurologische und orthopädische Untersuchung
- Kardiologische Untersuchung und Blutdruckmessung bei der Katze
Labordiagnostik
Zu den sinnvollen Laboruntersuchungen gehören routinemäßig sowohl die Harn-, als auch die Blutuntersuchung. Die Harnanalyse begrenzt sich zunächst auf das spezifische Gewicht und einen Stick-Test mit Bestimmung von pH-Wert, Blut und Eiweiß. Bei entsprechendem Verdacht wird ein Harnsediment beurteilt. Die Blutuntersuchung umfasst hämatologische und klinisch-chemische Parameter. Für ein Screening genügen zunächst die Leukozytenzahl und der Hämatokrit. Repräsentativ für die Einschätzung der Leberfunktion dienen die Messung der ALT und für die Niere der Harnstoff als Basis. Um verschiedene andere Organfunktionsstörungen zu erkennen, wird die Messung des Gesamtproteins empfohlen, und zur frühzeitigen Diagnose eines Diabetes ergänzend Glukose. Bei der Interpretation der Laborergebnisse sind altersabhängige Veränderungen zu berücksichtigen.
Laboruntersuchungen im Einzelnen
- Hämatologie: Leukozytenzahl, Hämatokrit (Hämoglobin)
- Harnanalyse: Stick und spezifisches Gewicht
- Klinische Chemie: Gesamteiweiß, Harnstoff, ALT, AP, Cholesterin (Glukose)
- Endokrinologie: T4 bei der Katze (je nach Befund 1 × jährlich)
- Weitergehende Untersuchungen (abhängig von den Ergebnissen)
Es ist zu bedenken, dass bei einer derartigen Screening-Untersuchung ein „normaler“ Wert nichts bestätigt oder ausschließt, und ein „abnormaler“ Wert zunächst nur Anlass ist, weiterführende Untersuchungen durchzuführen.
Altersbedingte Erkrankungen
Folgende Erkrankungen treten bei Hunden und Katzen im fortgeschrittenen Alter häufiger auf als bei jungen oder mittelalten Tieren:
- Nierenerkrankungen
- Herzklappenerkrankungen
- Kognitive Dysfunktionen beim alten Hund
Daneben treten bei Hund und Katze häufig folgende altersbedingte Erkrankungen auf: Adipositas und Tumoren, Erkrankungen von Zähnen, Nieren, Prostata, Gebärmutter, Hoden (Hund), ferner degenerative Gelenkerkrankungen und Endokrinopathien. Diese sind bei der klinischen Untersuchung entsprechend zu berücksichtigen.
Altersbedingte Nierenerkrankungen
Bei der Katze gehören Einschränkungen der Nierenfunktion zu den häufigsten altersassoziierten Störungen. Nach verschiedenen Literaturangaben weisen bis zu 10 % der untersuchten Katzen ab einem Alter über 10 Jahren eine chronische Nierenerkrankung auf, ab 15 Jahren erhöht sich die Inzidenz sogar auf über 30 %.
Die Vorkommenshäufigkeiten für die chronische Niereninsuffizienz beim Hund liegen nach Literaturangaben etwas niedriger, doch auch beim geriatrischen Hundepatienten muss auf Funktionseinschränkungen der Niere geachtet werden, die oft in Verbindung mit anderen Erkrankungen des älteren Patienten, wie Parodontitis, Diabetes mellitus, Zystitis und Hypertonie diagnostiziert werden.
Besonders bei untergewichtigen Patienten (Hunde und Katzen) wurden in einer neueren amerikanischen Studie Anzeichen für eine solche Funktionsstörung gefunden, die häufig mit z. T. unspezifischen Symptomen wie Apathie, Anorexie, Dehydratation, Erbrechen und Polyurie/Polydipsie einhergeht.
Laborbefunde bei Nierenerkrankungen
Eine geringgradige Proteinurie ist bei geriatrischen Patienten prädiktiv für die Entwicklung einer Azotämie innerhalb 12 Monaten.
Laborwerte wie Kreatinin können auch bei manifester chronischer Niereninsuffizienz noch im Referenzbereich liegen, weshalb zur Nierendiagnostik immer ganz wesentlich die Gesamtschau aller Befunde gehört.
Symmetrisches Dimethylarginin (SDMA) hat sich als ein sensitiver und zuverlässiger Marker in der Nierendiagnostik etabliert, der eine gute Korrelation zum Goldstandard glomeruläre Filtrationsrate zeigt und im Gegensatz zur Kreatininkonzentration unabhängig von der Muskelmasse ist. Die SDMA-Bestimmung ist mittlerweile als Routinemethode in der Labordiagnostik etabliert und wird von der IRIS (International Renal Interest Society) als vielversprechender Marker in der Nierendiagnostik eingeschätzt, um beim alten Tier frühzeitig eine nachlassende Nierenfunktion festzustellen (http://www.iris-kidney.com).
Herzklappenerkrankungen
Nach Whitney haben 58 % der Hunde im Alter über 9 Jahren hochgradige Veränderungen der Herzklappen. Die chronische Klappenerkrankung betrifft vorwiegend Hunde mittleren bis fortgeschrittenen Alters, einige Rassen mit spezieller genetischer Disposition (z. B. Cavalier-King-Charles-Spaniel oder Dackel) können bereits früher Symptome entwickeln. Generell sind vorwiegend Hunde kleiner und mittlerer Rassen symptomatisch und zeigen bei der klinischen Untersuchung ein systolisches Herzgeräusch, verursacht durch die Mitralregurgitation. Die aufgrund der Endokardiose bestehende Regurgitation aktiviert das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System zur Kompensation. Es kommt in der Folge zu einem verminderten Herzzeitvolumen, damit zur Hypoxie in den Organen und einem verlangsamten Metabolismus. Durch die Herabsetzung multipler Organfunktionen entsteht Multimorbidität. In der Folge entwickeln viele Patienten bronchopulmonale Störungen mit meist trockenem, unproduktivem Husten, außerdem bemerkt der Besitzer häufig eine leichte Ermüdbarkeit und ggf. Verhaltensänderungen (abnehmender Spieltrieb).
Kognitive Dysfunktionen beim alten Hund
Ältere Tiere zeigen häufig Veränderungen der kognitiven Funktionen, welche sich in veränderter Aufmerksamkeit und Reaktionen gegenüber gewohnten Reizen, Orientierungsstörungen, Änderungen des Fressverhaltens und verändertem Leistungsverhalten sowie Verlust der Stubenreinheit manifestieren können. Im englischen Sprachraum wird dieses Syndrom als „cognitive dysfunction syndrome“ (CDS) bezeichnet.
Es ist wichtig zu differenzieren, ob diese Veränderungen auf einem Alterungsprozess der Gehirnfunktionen, auf Veränderungen in der häuslichen Umgebung oder auf zugrundeliegenden pathologischen Prozessen beruhen.
Neben einer medikamentösen Behandlung und einer unterstützenden Diät werden auch allgemeine Maßnahmen empfohlen, die auf relativ einfache Weise dem alternden Hund helfen. Dazu gehört eine verlässliche, überschaubare Routine, generell die Vermeidung von großem Stress, häufigere und dafür lieber kürzere Spaziergänge, aber auch durchaus die eine oder andere geistige Anregung, wie ein Spaziergang in einer ruhigen, aber weniger bekannten Umgebung oder das Erlernen eines neuen Tricks.
Allgemeine Vorteile des Alters-Checks
Die regelmäßige, gründliche Gesundheitsvorsorge kann den alten Patienten vor Schmerzen bewahren bzw. helfen, chronische Schmerzen erträglich zu machen, außerdem neue, bisher nicht bekannte Gesundheitsstörungen aufdecken und damit die Wahrscheinlichkeit erhöhen, Erkrankungen durch frühzeitige Erkennung und Behandlung erfolgreich anzugehen. Krankheitsverläufe können verzögert und das Leben bei verbesserter Lebensqualität verlängert werden.
Kommunikation als Schlüssel zum Erfolg
Der Anspruch, seine Patienten im letzten Lebensabschnitt angemessen begleiten zu können, verlangt auch vom Tierarzt besondere Leistungen. Dies sind vor allem Antizipation, Anpassungsfähigkeit und Empathie sowie Hintergrundinformation. Patientenbesitzer müssen über die Möglichkeiten des altersangemessenen klinisch-labordiagnostischen Checks informiert werden. Hierfür braucht es die Fähigkeit, klar zu kommunizieren, ggf. unter Zuhilfenahme von Merkblättern, sowie den Besitzer mit konstruktiven Anweisungen zu überzeugen.
Der (hier aktualisierte) Originalartikel ist erschienen in: