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Kaninchen sind nach wie vor beliebte Heimtiere und weil auch bei ihnen die Lebenserwartung steigt, sieht man sie immer öfter in der Kleintierpraxis. Aktuell geht man beim Kaninchen von einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 8 – 10 (8 – 12) Jahren aus, wobei das gestiegene Durchschnittsalter vermutlich vor allem zwei Gründe hat: Mehr Bewusstsein der Patientenbesitzer für eine artgerechte Haltung und Fütterung und bedeutende Weiterentwicklung der Heimtiermedizin in den vergangenen 20 Jahren.
Auch wenn Kaninchen deutlich älter werden können, treten die ersten altersbegünstigten Erkrankungen teilweise bereits ab einem Alter von ca. 5–6 Jahren auf. Doch nicht alles, was nach „alt“ aussieht, wie z. B. geringerer Appetit, Gewichtsverlust und geringere Bewegungsfreude, ist tatsächlich dem Alter zuzuschreiben!
Veränderungen im Alter
Leider gibt es beim Kaninchen keine Möglichkeit, anhand bestimmter Merkmale das Alter zu bestimmen. Doch bei einigen Farbschlägen und insbesondere bei dunklen Tieren nehmen die weißen Stichelhaare im Gesicht und am Rumpf zu, oder die Tiere ergrauen rund um die Nase (Abb. 1).
Auch die Körperform ändert sich meist im Alter. Sehr viele Kaninchen sind im fortgeschrittenen Alter eher sehr schlank und haben sich auf einem neuen, niedrigeren „Normalgewicht“ eingependelt. Zudem fällt bei betagteren Kaninchen insbesondere bei arthrosebedingt bewegungseingeschränkten Tieren oft ein Muskelabbau v. a. an den Gliedmaßen und entlang der Wirbelsäule auf.
Verhalten
Insgesamt betrachtet, wirken viele ältere Kaninchen ruhiger und friedfertiger, obwohl Verhalten stets individuell zu beurteilen ist. Wichtig ist es, den Besitzer darauf hinzuweisen, dass nicht jede Verhaltensänderung nur auf „das Alter“ geschoben werden kann, sondern dass teilweise auch behandelbare Erkrankungen dahinterstecken können und dies tierärztlich abgeklärt werden sollte.
Einschränkungen der Sinnesleistungen wie bei einem fortschreitenden Katarakt oder einer zunehmenden Schwerhörigkeit können beispielsweise dazu führen, dass ein Kaninchen weniger aktiv herumhoppelt oder auch scheinbar tiefer und länger schläft – hier sind die Möglichkeiten einer Behandlung eingeschränkt oder teilweise nicht gegeben (Abb. 2). Aber auch Schmerzen bei arthrotischen Veränderungen oder eine mangelnde Belastbarkeit, z. B. durch eine Kardiomyopathie, können ursächlich für ein scheinbar „gemütliches“ Verhalten sein.
Senioren-Check-Up – ja bitte!
Es ist absolut sinnvoll, ältere Kaninchen – völlig unabhängig von den regelmäßigen Impfterminen – mindestens halbjährlich zu untersuchen und mit dem Besitzer ausführlich darüber zu sprechen, welche Veränderungen aufgefallen sind. Wichtig dabei: offene Fragen stellen, damit nicht mit „ja“ oder „nein“ geantwortet werden kann, sondern die Auffälligkeiten genau beschrieben werden.
Haltung
Wenn Kaninchen optimal gehalten werden, d. h. Haltung in einem großen Außen- oder Innengehege resp. Kaninchenzimmer oder in freier Wohnungshaltung, muss für betagtere Kaninchen kaum etwas verändert werden. Ein Augenmerk sollte jedoch auf höher liegende Ebenen gerichtet werden: Können diese nicht mehr sicher erreicht werden, so helfen beispielsweise eine flache Rampe mit Querstegen und/oder einer seitlichen Abgrenzung beim Aufstieg. Auch Holzblöcke oder Steine, die als breite Stufen sicher angeordnet sind, werden oft gut akzeptiert. Manche Kaninchen meiden allerdings im Alter grundsätzlich Höhen, evtl. wegen eines eingeschränkten Sehvermögens oder aufgrund einer arthrosebedingten Einschränkung der Beweglichkeit. Bei diesen Tieren sollte darauf geachtet werden, dass Futter und Wasser auch auf der unteren Gehege-Ebene angeboten werden und dort stets in einwandfreiem Zustand zur Verfügung stehen.
Ein weiteres Thema bei der Außenhaltung von Kaninchen sind die Wintertemperaturen . Senior-Kaninchen haben häufig im Vergleich zu jüngeren Jahren Gewicht abgebaut, was an sich für die Temperaturregulation kein Problem darstellt, wenn sie in einer Gruppe leben und Tiere sich gegenseitig wärmen können. Sind aber nur noch ein oder zwei Tiere im Gehege, so sollte auch bei gesunden Senioren das Winterdomizil zusätzlich isoliert werden. Eine Alternative wäre die Innenhaltung während der Wintermonate.
Fütterung
Das Alter eines Kaninchens ändert nichts daran, wie eine optimale Fütterung aussehen sollte: Heu, viel Blättriges in abwechslungsreicher Zusammensetzung (Wiesenfutter, Salate, Blattgemüse), wenig Knollengemüse, Äste zum Benagen und gelegentlich ein kleiner Leckerbissen in Form einer Beere, eines Apfelstückchens oder einer Nuss – aus diesen Komponenten sollte die Ration weiterhin zusammengesetzt sein.
Doch für den Senior (und auch für jüngere Kaninchen) mit Zahnerkrankungen ist es oft hilfreich, grobe Bestandteile klein zu schneiden. Weisen die Inzisivi Veränderungen auf, so reicht es in der Regel, das Futter in grobe Streifen zu schneiden. Auch Stängeliges kann dann noch gut aufgenommen werden, ebenso wie Heu. Je nach Veränderungsgrad der Backenzähne kann das Zermahlen der Nahrung ggf. nur eingeschränkt möglich sein und in diesen Fällen sollte die Ration – oder zumindest deren grobe Bestandteile – stärker zerkleinert angeboten werden.
Wird das Kaninchen abwechslungsreich und artgerecht gefüttert, sind auch im Alter keine Multivitaminzugaben, wie sie zum Teil im Handel angeboten werden, notwendig.
Typische Alterskrankheiten
Natürlich gibt es auch beim Kaninchen Erkrankungen, die sich im Alter häufen oder zu häufen scheinen. Es gibt jedoch keine Infektionskrankheit, die nur bei den Senioren auftritt. Vielmehr sind eher akute Schübe chronischer Infektionskrankheiten zu beobachten, da die Stressanfälligkeit der Tiere steigt und das Immunsystem häufig nur noch eingeschränkt arbeitet.
Immunsystem
Grundsätzlich sinnvoll sind daher alle Maßnahmen, die das Immunsystem unterstützen . Dazu gehören primär Stressvermeidung sowie eine optimale Haltung und Fütterung. Sollte jedoch Stress, wie z. B. durch einen Umzug oder eine Vergesellschaftung, unvermeidlich sein, so kann die Gabe eines Paramunitätsinducers (immunstärkendes Medikament) wie Engystol ad us. vet., Rodicare Immun, ein Produkt mit Echinacea oder ein Präparat mit inaktivierten Parapoxviren sinnvoll sein. Hierbei wird mit der Verabreichung bereits einige Tage vor der Stress-Exposition begonnen.
Merke
Einiges, was als „Alter“ verbucht wird, kann ganz andere Ursachen haben, daher gilt: Untersuchung!
Atmungsapparat
Hat ein Kaninchen Kaninchenschnupfen, so sind im fortgeschrittenen Alter vermehrt akute Schübe selbst bei bisher „trockenen“ Schnupfern keine Seltenheit (Abb.3). Auch hier unterstützen Paramunitätsinducer, aber auch Inhalationen mit NaCl oder einem schleimlösenden Präparat (Mukolytikum), die in Fällen mit vorrangig schleimigem oder geringgradig eitrigem Nasenausfluss oft ausreichen. In schwerwiegenderen Fällen mit hochgradig eitrigem Nasenausfluss oder Beteiligung des Bronchialsystems ist zusätzlich eine Antibiose angezeigt. Liegen Sekretverklebungen im Bereich der Nasenöffnungen vor, müssen diese stets zunächst gereinigt und freigehalten werden. Optimal wäre es dann, mithilfe einer Nasenspülprobe Sekret aus der Tiefe der Nase zu gewinnen, um ein Antibiogramm anfertigen zu lassen, sodass das initial gewählte Antibiotikum ggf. zielgerichtet umgestellt werden kann.
Achtung: Der einfache Nasenabstrich aus dem vorderen Bereich der Nasenöffnungen kann häufig nicht alle ursächlich beteiligten Keime identifizieren, sodass das Antibiogramm „nur“ die Sekundärerreger erfasst oder ein falsch negatives Ergebnis erzielt wird. Bei dem Sekret aus einer Nasenspülprobe ist es weitaus wahrscheinlicher, ein vollständiges verlässlich interpretierbares und nutzbares Ergebnis zu erzielen.
Niere
Organveränderungen sind im Alter regelmäßig anzutreffen und teilweise schränken sie die Leistung des Organs oder Organsystems deutlich ein. Besonders häufig sind beim Kaninchen Nephropathien (Erkrankungen der Nieren) festzustellen. Ursächlich kommen hier mehrere Faktoren zusammen: Neben rein altersbedingten Veränderungen des Nierengewebes treten auch stoffwechsel- und infektionsbedingte Einschränkungen auf.
Kaninchen und Kalzium
Kaninchen besitzen eine physiologische Besonderheit des Kalzium-Stoffwechsels, bei dem Kalzium nicht bedarfsgerecht, sondern im Überschuss aus der Nahrung resorbiert wird und ungenutzte Anteile über die Niere mit dem Urin wieder ausgeschieden werden. Da der pH-Wert des Kaninchenurins basisch ist, fällt Kalzium dabei als Kristall aus. Dies führt nicht nur häufig zu Konkrementbildung in der Harnblase, sondern kann auch Konkremente und Verkalkungsherde in den Nieren zur Folge haben.
Die häufigste Infektion, die eine Funktionseinschränkung der Niere zur Folge hat, ist die Encephalitozoonose . Hier kann der Erreger eine interstitielle Nephritis (besondere Form der chronischen Nephritis) induzieren, die in der Regel lange Zeit unbemerkt bleibt. Auch die bereits beschriebenen Einschränkungen durch Konkrementbildung sowie gelegentlich Neoplasien sind bei alten Kaninchen häufiger anzutreffen als bei jüngeren Tieren.
Die Anzeichen einer Niereninsuffizienz sind eher unspezifisch: reduzierte Futteraufnahme oder Inappetenz sowie ein oftmals struppiges Haarkleid. Weitere Symptome sind Exsikkose und in einigen Fällen auch Polyurie und Polydipsie, die aber nicht als Leitsymptom dienen.
Herz
Zudem weisen ältere Kaninchen nicht übermäßig häufig, aber doch regelmäßig Kardiomyopathien (Veränderungen des Herzmuskels) auf, die mit eingeschränkter Pumpleistung des Herzens oder unzureichendem Herzklappenschluss einhergehen. Anzeichen hierfür können eine rasche Ermüdbarkeit, ein auffallendes „ruhiger werden“ des betroffenen Tiers oder eine angestrengte Atmung sein. In der Allgemeinuntersuchung ist im Rahmen der Auskultation oft ein Herzgeräusch festzustellen. Röntgenologisch lässt sich meist eine vergrößerte Herzsilhouette darstellen. Die genaueste Untersuchungsmöglichkeit stellt die Echokardiografie (Herzultraschall) dar, deren Befunde helfen, eine passgenaue Therapie einzuleiten.
Zähne und Verdauung
Auch Kaninchen, die ihr bisheriges Leben lang zahngesund waren, können im Alter zu Zahnpatienten werden. Hierfür sind zum einen Verschiebungen der Zähne durch eine nachlassende Elastizität des bindegewebigen Zahnhalteapparats verantwortlich. Dabei sind besonders die Tiere betroffen, die bereits lange Zeit Zahnfehlstellungen aufgewiesen haben, auch wenn diese geringgradig und nicht behandlungsbedürftig erschienen. Die fehlgestellten Zähne werden durch den permanenten Kaudruck ganz langsam immer stärker verschoben und entwickeln behandlungsbedürftige Zahnspitzen. Zusätzlich ist stoffwechselbedingt oder aufgrund von chronischen Veränderungen im Bereich des Zahnsäckchens auch die Qualität der Zahnsubstanz im Alter oft eingeschränkt, z. B. sichtbar an Querrillen auf den Incisivi sowie an Verfärbungen des Zahnschmelzes durch Einlagerung von Futterpigmenten.
Nehmen von Zahnerkrankungen betroffene Kaninchen nur noch selektiv und insbesondere weichere, rohfaserarme Nahrung auf, so kommt es häufig zu zahnbedingten Verdauungsstörungen:
Diarrhoe, teilweise auch nur Konsistenzveränderungen der Zäkotrophe (Blinddarmkot)
Überwucherung der physiologischen Darmflora durch Hefen wie z. B. Cyniclomyces guttulatus
Tympanie
Hier muss zusätzlich zur Behandlung der Verdauungsstörungen eine sorgfältige Diagnostik der Zahnveränderungen sowie ggf. die regelmäßige Zahnkorrektur mit Wiederherstellen einer möglichst physiologischen Okklusion vorgenommen werden – das ist eine Voraussetzung dafür, dass keine dauerhaften oder rezidivierenden Verdauungsstörungen auftreten.
Merke
Niere, Zähne, Herz und Bewegungsapparat – ältere Kaninchen brauchen mehr Aufmerksamkeit!
Bewegungsapparat
Arthrotische Veränderungen kommen vor allem im Bereich der Knie- und Ellenbogengelenke häufig vor (Abb.4). Hier lässt zunächst die Knorpelelastizität nach und der Knorpel fasert auf, dann wird die Knorpelschicht dünner und weist zunehmend Schäden auf. Diese Veränderungen sind schmerzhaft, sodass das betroffene Tier sich oftmals zurückzieht, sich weniger bewegt, Schonhaltungen einnimmt und das Putzverhalten vernachlässigt.
Ähnliche Symptome fallen auch bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen wie Spondylosen oder Verkalkungen der Bandscheiben auf, die in der Regel im Verlauf der Lendenwirbelsäule stärker und häufiger ausgeprägt sind als in der Hals- oder Brustwirbelsäule (Abb. 5). Bei diesen Veränderungen können zudem auch aus dem Rückenmark abgehende Nervenbahnen beeinträchtigt sein, was z. B. Muskelzittern, verzögerte Stellreflexe (besonders häufig der Hintergliedmaßen) bis hin zu Paresen sowie Inkontinenz verursachen kann.
Eine sorgfältige Untersuchung mit ausführlicher Anamnese, Adspektion, Palpation und Röntgenaufnahmen ist in diesen Fällen unabdingbar, um die Diagnose zu bestätigen und Differenzialdiagnosen ausschließen zu können. Ziel ist es, den Patienten mit einer passgenauen Medikation aus Analgetika, z. B. Meloxicam oder Metamizol, sowie mit unterstützenden Präparaten aus der biologischen Tiermedizin wie z. B. Zeel ad us. vet., Rodicare Artrin und Rodicare VitaB zu helfen. Positiv wirkt sich zudem Wärme aus, sodass beispielsweise ein Lieblingsplatz mit einem SnuggleSafe (Wärmepad) ausgestattet werden kann. Auch eine Physiotherapie kann in vielen Fällen eine Linderung der Symptome und damit eine Verbesserung der Lebensqualität bewirken.
Fazit
Im Rahmen von regelmäßigen und – je nach Alter – mindestens halbjährlichen Vorsorgeuntersuchungen können zahlreiche altersbedingte Veränderungen bereits frühzeitig entdeckt und therapiert werden, sodass die Lebensqualität des betroffenen Kaninchens in vielen Fällen noch über einen längeren Zeitraum erhalten oder wiederhergestellt werden kann. Ein fittes Immunsystem sowie eine optimale Haltung und Fütterung gehören daher zur wichtigen Prophylaxe von altersbegünstigten Erkrankungen, und der Satz „Ach, das ist nur das Alter“ gilt nur, wenn alle Differenzialdiagnosen ausgeschlossen sind!
Quelle (nach Angaben von):