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InterviewZwischen Schildkröten, Wellensittichen und Büroarbeit – Im Gespräch mit Dr. Carnarius

Von Schildkröten und Geckos über Eulen und Falken bis hin zu Wellensittichen und Papageien – im Interview mit der Vogel- und Reptilienspezialistin Dr. Mandy Carnarius aus Berlin.

M. Carnarius

Frau Carnarius, möchten Sie sich unseren Leser*innen kurz vorstellen?

Geboren 1980 an der Ostseeküste, aufgewachsen in einer thüringischen Kleinstadt, verschlug es mich ab 1998 nach Berlin zum Studium der Tiermedizin an der Freien Universität. Tierärztin wollte ich schon werden, solange ich denken kann und habe - zum Leidwesen meines ortsansässigen Tierarztes - auch jedes verletzte Tier angeschleppt, das ich finden konnte. Anfangs wollte ich unbedingt in die Pferdemedizin, aber schon als Studentin habe ich angefangen im Institut für Geflügelkrankheiten der FU Berlin als studentische Hilfskraft zu arbeiten. Hier entdeckte ich meine Passion für die Vogelmedizin, ganz besonders für Papageien und Greifvögel. Ein längeres Praktikum im berühmten Loro Parque auf Teneriffa festigte diese Begeisterung für die gefiederten Patienten. Nach meiner Studienzeit habe ich über Lebererkrankungen bei Falken promoviert und meinen Fachtierarzt für Geflügel mit Zusatzbezeichnung Zier-, Zoo- und Wildvögel erworben.

Seit 2022 besitze ich noch die Fachtierarztanerkennung und Weiterbildungsermächtigung für Zier-, Zoo- und Wildvögel. Auch privat haben mich die gefiederten Tiere nicht losgelassen: ich bin seit 10 Jahren Falknerin, wenn auch (noch) nicht aktiv mit eigenem Jagdvogel, da mir die Zeit dafür fehlt. Als Jägerin und Falknerin ist mir vor allem der Schutz unserer heimischen Greifvögel und Eulen ein Herzensthema. Außerdem setze ich mich für artgerechte Auswilderung rehabilitierter Greifvögel und Eulen ein, sowie für den Schutz heimischer Bodenbrüter und Niederwildarten.
 

Und wie ging es dann weiter?

Nach Abschluss von Fachtierarzt und Co. habe ich kleinere berufliche Ausflüge in die Geflügelmedizin und ans Bundesinstitut für Risikobewertung gewagt und mich dann 2010 selbständig gemacht, zunächst mit einer reinen Hausbesuchspraxis in Berlin und Brandenburg nur für Zier-, Zoo- und Greifvögel, wobei ich viel in der Bestands- und Zuchtbetreuung von Papageien und Greifvögeln tätig war. Ab 2016 habe ich mich dann in festen Praxisräumen in Berlin niedergelassen mit der immer noch von mir geführten Praxis für Vögel & Reptilien. Die Erweiterung des Patientenspektrums um die sehr beeindruckenden Reptilien war eine Herausforderung, die aber auch viele Jahre später immer noch die richtige Entscheidung war und unglaublich faszinierend ist. Die Vielfalt der Reptilien und Vögel mit den verschiedensten Arten, Haltungs- und Lebensansprüchen ist und bleibt spannend und macht meinen Berufsalltag abwechslungsreich und fast täglich neu. Die Praxis ist ansässig in Berlin-Zehlendorf und mittlerweile arbeiten neben mir noch 2 weitere Tierärztinnen hier und erwerben hoffentlich ihre Fachtierarztkunde für Zier-, Zoo- und Wildvögel. Zum Team gehören aktuell auch eine Tiermedizinische Fachangestellte und eine Bürokraft für die Anmeldung sowie 2 studentische Hilfskräfte.
 

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Einen richtig typischen Arbeitsalltag haben wir eigentlich selten. Natürlich arbeiten wir mit Sprechzeiten und versuchen reine Terminsprechstunden für eine bessere Planbarkeit durchzuführen. Aber aufgrund der spät angezeigten Krankheitssymptome bei unseren speziellen Patienten kommen viele Patientenbesitzer erst sehr spät zum Tierarzt. Eine angebliche Kotabsatzstörung entpuppt sich dann vielleicht als Legenot mit feststeckendem Ei, eine Allgemeinschwäche ist eventuell schon ein Tumor im Endstadium und ein Humpeln seit 2 Tagen ist bei viel Pech schon eine übersehene Nekrose und es muss eine Fußamputation erfolgen. Dadurch sind viele Pläne für den Arbeitstag eigentlich schon hinfällig, wenn sie erstellt werden. Man lernt zwanghaft eine große Flexibilität. Die muss man sich auch beibehalten bei den tatsächlich tausenden Arten an Vögeln und Reptilien, mit denen man hier konfrontiert werden kann. Und man sollte nie an dem Punkt ankommen, an dem man glaubt, dass man alles weiß. Ich lerne immer noch nahezu täglich etwas Neues – von Besitzer*innen, von Kolleg*innen, aus anderen Fachgebieten, was für mich der spannendste Aspekt meiner abwechslungsreichen Arbeit ist.

Aber natürlich kenne ich sie auch – die Routinefälle: das sind besonders die gastrointestinal erkrankten Wellensittiche, das sind Verhaltensstörungen bei handaufgezogenen und allein gehaltenen Papageien, auch Legenot (bei Vögeln und Reptilien gleichermaßen) aufgrund von Calciummangel und Haltungsfehlern sind oft zu sehen. Wir haben leider auch sehr häufig Tumore bei älteren Wellensittichen oder Atemwegserkrankungen bei Papageien sowie Verletzungen durch unsachgemäße Käfig-, Zimmer- oder Terrarieneinrichtung.
 

Wie schätzen Sie Ihre Work-Life-Balance ein, haben Sie sich Ihr Tierarztleben so vorgestellt?

Da ich mittlerweile ein tolles Praxisteam als Unterstützung habe, kann ich mir mehr Zeit für Kinder, Familie und Freizeit gönnen. Trotzdem habe ich eine ca. 50-Stunden-Woche, die (leider) nicht nur mit der Arbeit an Patienten ausgefüllt ist, sondern auch mit eher lästiger, weil nicht freiwillig ausgesuchter Büroarbeit. Steuern, Finanzen, Papierkram, Unterlagen – leider gehört all das mit dazu, wenn man eine Tierarztpraxis führt.
 

Wie war Ihr Weg zur Spezialistin für Vögel und Reptilien?

Da ich eigentlich Pferde-Tierärztin werden wollte, hat mich tatsächlich ein Zufall zur Vogelmedizin gebracht. Als Studentin war ich stolze Besitzerin von 2 Wellensittichen, von denen einer erkrankte. Ich wendete mich an das Institut für Geflügelkrankheiten an meiner Uni, damals namentlich an Dr. Michael Lierz, der im Bereich Ziervögel sowohl die Lehre für uns Studenten durchführte als auch praktische Sprechstundenarbeit. Mein erkrankter Wellensittich brachte mir das Angebot der Mitarbeit in der Sprechstunde und den Posten als studentische Hilfskraft. Damals war ich noch dem gleichen Glauben verfallen wie nahezu alle anderen Tiermedizinstudenten: „Was kann man denn schon machen bei solch kleinen Patienten!?“ Aber es war erstaunlich und faszinierend, wie viel man wirklich medizinisch machen konnte, weshalb mich dieses Spezialgebiet dann nicht mehr losgelassen hat. Und auch heute noch kann man sagen, dass vielleicht schon mein Nachname ein Omen war und der Weg vorbestimmt…


Was macht Ihnen bei der Arbeit am meisten Spaß?

Ich liebe die praktische Arbeit und bin immer noch sehr gern Tierärztin. Ich mag meine Patienten und in meinem Spezialbereich vor allem die Abwechslung, die die vielen verschiedenen Arten an Reptilien und Vögeln mit sich bringen. Vom kleinen Zebrafink bis zum Pfau, vom winzigen Gecko bis zur Riesenschildkröte oder Boa ist alles dabei und kann täglich hier ankommen. Somit bleibt es immer spannend.  Und ich finde es toll, dass man nie auslernt!


Und was macht weniger Spaß, gehört aber dennoch dazu?

Eindeutig Büroarbeit, Steuererklärung, Bilanzen.


Würden Sie uns von Ihrem spannendsten Fall erzählen?

Da gibt es keine alleinige Antwort. Ich habe schon sehr seltene und vom Aussterben bedrohte Arten betreut, die sonst kaum jemand überhaupt mal zu Gesicht bekommt, geschweige denn behandelt oder in die Hand nehmen kann. Das ist dann schon immer was Besonderes. Ein Highlight war definitiv auch die Schildkröte, die der (mittlerweile) verstorbene Besitzer aus dem Ersten Weltkrieg mitgebracht hat und die nun immer noch in der Familie lebt. Und spektakulär sind für mich immer die Fälle, die den Sherlock Holmes oder Dr. House in einem wachrufen und man mit Hilfe anderer Kolleg*innen, Anwendungen aus anderen Fachgebieten oder aus der Technik sowie auch mit Anlehnungen aus der Humanmedizin Diagnosen oder Therapien erarbeitet. Wenn diese experimentellen und neuen Therapieversuche dann auch anschlagen, ist das für mich wirklich das Spannendste.
 

Und gibt es auch einen traurigen Fall, der Sie sehr mitgenommen hat?

Da gibt es tatsächlich keinen speziellen. Es sind die Tiere und deren Besitzer, die man oft lange betreut, deren Krankheitsgeschichte man lange begleitet, bei denen Mensch und Tier einem ans Herz gewachsen sind und ich dann irgendwann gemeinsam mit den traurigen Besitzer*innen doch Abschied nehmen und die Tiere gehen lassen muss.
 

Welche Entwicklungen beobachten Sie in Ihrem Fachgebiet und auch bei den Tierhaltern, welche Veränderungen gibt es bei der Vogel- und Reptilienhaltung?

Ich beobachte vor allem und das mit Freude, dass viele Neubesitzer*innen sich erst mal informieren, was sie sich für ein Tier anschaffen wollen, was es braucht, worauf sie achten müssen. Das ist gerade bei den exotischen Haustieren leider aber immer noch nicht die Regel. Gerade bei der Reptilienhaltung laufen wir den tatsächlichen Anforderungen eher hinterher. Viele Krankheiten und chronische Leiden könnten heutzutage leicht vermieden werden, vor allem weil man sich heute viel leichter über sein spezielles Haustier informieren kann, dank Internet als das früher der Fall war. Es gibt in der Haltung und Betreuung von Exoten viele Fachgruppen und viele Bestrebungen, auch mittlerweile viele Empfehlungen, vor allem aus den USA, die wir hier viel benutzen. Leider werden solche Sachen noch nicht bindend national angewendet. So sind wegen falscher Haltung, Fütterung, Technopathien und wegen absoluter Unwissenheit oft tierschutzrelevante Fälle in unserer Sprechstunde, die aber selten zu reglementieren sind, weil sich die Veterinärämter weder mit den Exoten auskennen noch verbindliche Vorgaben zur Haltungsüberprüfung heranziehen können.

Eine seit Corona vermehrt auftretender Trend ist in der Sittichhaltung zu beobachten, leider auch dieser mit negativen Folgen für die betroffenen Vögel: nämlich handaufgezogene und extrem zahme, auf den Menschen geprägte Wellensittiche und Nymphensittiche. Diese oft verhaltensauffälligen Vögel sind mittlerweile zu einem großen Prozentsatz in der Sprechstunde vertreten. Und auch die Hobby-Hühner-Haltung hat deutlich zugenommen, so dass wir sehr viele Hühner-Patienten betreuen.
 

Gibt es Vögel und Reptilien, die Sie eher ungerne behandeln und wenn ja, warum?

Man muss ja eigentlich als Tierarzt totaler Idealist sein und alle seine Patienten mögen. Aber ich bin auch nur ein Mensch. Und wenn ich ehrlich bin, dann mag ich keine Krähen. Ich weiß, dass sie schlau sind und viele Menschen von Ihnen fasziniert sind. Aber für mich sind es hinterlistige Tiere, die viel Schaden bei anderen Singvögeln und Bodenbrütern anrichten.

Welche Vögel und Reptilien mögen Sie am liebsten und warum?

Ich bin immer noch ein sehr großer Freund vom „profanen“ Wellensittich. Das sind lustige, gesellige und intelligente kleine Papageien, die vor allem in Gruppenhaltung einfach Spaß machen. Ansonsten habe ich mein Herz schon auch an die Greifvögel und Eulen verloren, die einfach faszinierende Geschöpfe sind. Allerdings mag ich diese Tiere lieber frei in der Wildnis als hier in der Praxis als Patient. Bei den Reptilien mag ich eindeutig die Landschildkröten am liebsten. Schildkröten sind auf dieser Welt, seit es Dinosaurier gab. Die werden oft unterschätzt, weil sie angeblich ruhig, stoisch und langsam sind, aber es sind wirklich beeindruckende Tiere mit einer sehr großen Artenvielfalt. Das einzig Traurige ist:  gerade weil Schildkröten so viel aushalten (physisch und psychisch), nicht jammern, nicht wehklagen, werden oft jahrelange Fehler in der Haltung und Fütterung gemacht. Wenn diese Fehler nach vielen Jahren doch mal ihren Tribut zollen, ist es oft schwierig bis unmöglich, das Tier noch zu retten oder einigermaßen zu rehabilitieren.
 

Sollte es Ihrer Meinung nach mehr Spezialisten für Vögel und Reptilien geben?

Ganz eindeutig: JA!!! Es gibt noch viel zu wenig. Es wird auch in den Ausbildungsstätten oft zu wenig gelehrt, vor allem an der FU Berlin ist Vogelmedizin ein Randthema und die Reptilienmedizin quasi nicht wirklich existent. Aber deswegen nehme ich sehr gern tiermedizinische Praktikanten in meiner Praxis auf und versuche wenigstens ein bisschen Vogel- und Reptilienmedizin nahezubringen. Auf diesem Weg konnte ich schon einigen Student*innen die Freude an der Exotenmedizin vermitteln, die dann in diesem Bereich ganz oder teilweise geblieben sind.
 

Ausblick: Welche Herausforderungen sehen Sie in den nächsten Jahren in der Tiermedizin oder speziell in Ihrem Spezialgebiet?

Die Herausforderung, mit der wir seit Jahren kämpfen in der Tiermedizin, wird uns auch noch weitere Jahre erhalten bleiben: die Work-Life-Balance und eine angemessene Bezahlung dieses akademischen Berufs. Mit der GOT-Erhöhung von 2022 ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung passiert, auch wenn er schon jahrelang überfällig war. Auch die Bürokratie wird eher mehr als weniger, die Klagebereitschaft von Besitzer*innen nimmt zu, aber auch die Problematik gutes Personal zu finden, die die Leidenschaft für diesen anstrengenden Beruf teilen, der nun mal oft kein 9-to-5-job ist. 

In meinem Spezialgebiet bleibt es die Problematik der Haltung von Exoten. Solange viele kleine Tiere nur wenige Euro kosten, solange es keine verbindlichen Vorschriften gibt, wer unter welchen Voraussetzungen exotische Tiere verkaufen und dann auch halten darf, und solange unwissende und schlecht ausgebildete Zooläden und deren Mitarbeiter*innen unsachgemäße Haltungsempfehlungen geben und ungeeignetes Equipment verkaufen, werden wir in den Exotenpraxen weiterhin viele erkrankte Tiere sehen, deren Leid vermeidbar gewesen wäre. Deswegen ist meine persönliche Herausforderung und mein Anspruch schon immer gewesen, dass ich viel aufkläre, viel berate und dies auch an meine Mitarbeiter*innen weitergebe. Wer sein Tier versteht, kann es auch besser halten und Tier und Besitzer*in haben länger Freude miteinander. Immerhin kann der gemeinsame Weg mit einem Papagei oder einer Schildkröte viele Jahrzehnte lang sein…

 

Interview von Rieka Groth.